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Nordkorea

Die traditionelle Medizin in Nordkorea

#Schritte zur Wiedervereinigung l 2022-01-12

Schritte zur Wiedervereinigung

ⓒ Getty Images Bank

In Nordkorea wird die traditionelle koreanische Medizin auch Koryo-Medizin genannt. Während die traditionelle Medizin in Südkorea deutlich getrennt von der westlichen Medizin angewandt wird, sind sie im Norden stärker miteinander verwoben. Darüber hören wir mehr von Kim Ji-eun, einer aus Nordkorea geflüchteten Ärztin für traditionelle Medizin. Kim hat eine einzigartie berufliche Karriere: 


In Nordkorea schloss ich ein Studium in der Abteilung für Koryo-Medizin an der Chongjin-Medizin-Hochschule ab. Ich arbeitete als Internistin, Kinderärztin und Forscherin. Viele Menschen fragen sich vielleicht, wie eine Person, die orientalische Medizin studiert hat, als Internist oder Kinderarzt arbeiten kann. Doch so arbeitet das nordkoreanische System für die medizinische Ausbildung. Nachdem ich in Südkorea angekommen war, musste ich erkennen, dass meine akademische Karriere in Nordkorea nicht anerkannt wurde. Ich besuchte also ein College für orientalische Medizin und studierte vier Jahre. Seit 2009 praktiziere ich orientalische Medizin. Die relevanten Regeln haben sich inzwischen geändert, und Personen, die in Nordkorea als Ärzte, Zahnärzte und Krankenschwestern arbeiteten, können in Südkorea das Staatsexamen ablegen, ohne hier eine mediznische Ausbildung oder Pfleger-Ausbildung zu durchlaufen.


Die traditionelle oder orientalische Medizin wurde in Nordkorea früher auch als östliche Medizin bezeichnet, bevor sie 1993 in Koryo-Medizin umbenannt wurde. Entsprechend werden die Ärzte Koryo-Mediziner und die medizinischen Heilkräuter Koryo-Kräuter genannt: 


Nordkorea änderte die Namen der medizinischen Schulen und der Lehrer-Colleges. Die östliche Medizin wurde in Koryo-Medizin umbenannt. Nordkorea glaubte, dass die Koryo-Dynastie das prosperierendste Königreich auf der koreanischen Halbinsel war. Nordkorea schlug einmal sogar die Gründung einer Demokratischen Föderalen Repbublik Koryo vor. Durch die Wiederbelebung der koreanischen Medizin und den Fokus auf die Koryo-Zeit wollte Nordkorea wahrscheinlich seine eigene traditionelle Medizin betonen.


Einige Beobachter vermuten, dass Nordkorea der traditionellen Medizin so viel Aufmerksamkeit schenkte, um die eigenen inadäquten medzinischen Ressourcen zu ergänzen. Doch Nordkorea betrachtet die traditionelle Medizin zusammen mit der westlichen Heilkunst als Säulen der Medizin:


Seit der Befreiung Koreas von der japanischen Kolonialherrschaft betrachtete Nordkorea die traditionelle Medizin als wichtiges Element des nationalen Gesundheitssystems. Im Februar 1946 verkündete das provisorische Volkskomitee eine 20-Punkte-Plattform, die vorsieht, dass der Staat direkt für die öffentliche Gesundheit sorgen muss. Nordkorea begann 1947 damit, die orientalische Medizin in seine öffentlichen Gesundheitsprojeke aufzunehmen, und verkündete 1954 die Eignungsregeln für praktische Ärzte der orientalischen Medizin. Auch verlangte es ab 1957 von Ärzten für westliche Medizin, dass sie sich auch in traditioneller Medizin ausbilden lassen. Das Gesetz zur öffentlichen Gesundheit, das in den 1980er Jahren in Kraft trat, betonte stark die Erforschung der traditionellen Medizin und die Produktion medizinischer Heilkräuter.


Nordkorea gründete 1969 die Abteilung für östliche Medizin an der Pjöngjang-Medizin-Universität. Bis in die 70er Jahre wurden ähnliche Abteilungen in allen Provinzen eröffnet: 


Zahlreiche Universitäten in Südkorea haben ihre eigenen Medizinschulen, während in Nordkorea eine medizinische Schule selber eine umfängliche Universität ist. Die medizinischen Universitäten haben Abteilungen für die westliche Medizin, die Koryo-Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie. Es gibt allerdings einige Ausnahmen. Mit anderen Worten, es gibt keine getrennte Hochschule für orientalische Medizin in Nordkorea. Bis Anfang der 90er Jahre belegten die Medizinstudenten ein Jahr lang einen Vorbereitungskurs, auf den ein sechjähriger Hauptkurs folgte. Studenten der traditionellen Medizin erlernen die westliche Medizin so genau, dass sie auch Operationen durchführen können.


Anders als in Südkorea gibt es in Nordkorea kein staatliches medizinisches Zulassungsexamen. Die Studenten absolvieren eine sehr schwierige Abschlussprüfung. Um diese ablegen zu können, müssen sie aber einige Voraussetzungen erfüllen. So müssen sie etwa ein 300-Seiten-Buch in fremder Sprache übersetzen, bei zehn Kindergeburten assistieren, sechs Monate lang klinische Verfahren durchführen und einen entsprechenden Bericht darüber verfassen: 


Während sie militärische Medizin studieren, lernen die Studenten, wie sie im Kriegsfall Verletzte retten und behandeln. Nur nach der Absolvierung eines Kurses in Kriegsmedizin können sich die Studenten auf die Abschlussprüfung vorbereiten. Dieser Kurs ist schwierig und eher langweilig. Es geht darum, wie man mit Schäden durch atomare odedr biochemische Waffen umgeht. Studenten werden darin geprüft, wie schnell ein Patient transportiert und behandelt werden muss. Beim Test müssen sie den Patienten auf einer Bahre tragen. Wenn sie durchfallen, können sie sich nicht für die Abschlussprüfung anmelden, auch wenn sie ihre Hochschulkurse hinter sich gebracht haben. Ich erinnere mich an Medizinstudenten, die den Militärdienst ableisteten. Während sie Militäruniformen trugen, mussten sie lernen, wie sie verwundete Soldaten ins Hinterland zurückschicken und Notfallmaßnahmen ergreifen. Durch Trainingseinheiten wie diese können Medizinstudenten in Nordkorea in Kriegszonen geschickt werden. Ich denke, das System ist das Ergebnis der traurigen Realität der nationalen Teilung. Das ist eine Schande.


In Südkorea können Personen Medizin praktizieren, wenn sie das staatliche Examen geschafft haben. Sie durchlaufen eine Zeit als Praktikanten in Krankenhäusern und wählen eine bestimmte medizinische Disziplin. Das läuft in Nordkorea anders: 


Ärzte der traditionellen Medizin in Nordkorea können auch westliche Medizin praktizieren, doch nicht umgekehrt. Ich weiß nicht warum, aber so arbeitet das System. Nachdem ich Koryo-Medizin studiert hatte, wurde ich zu einer Abteilung für interne Medizin geschickt. Ich arbeitete sechs Jahre als Ärztin, bevor ich zur kinderärztlichen Abteilung transferiert wurde. Die Ärzte können ihr Spezialgebiet nicht selber wählen. Nach dem nordkoreanischen System werden traditionelle Medizin und westliche Medizin miteinander kombiniert. Wenn ein Patient zum Beispiel Verdauungsbeschwerden hat, verabreicht ihm der Arzt Pillen, doch behandelt er ihn auch mit Akkupunktur oder Moxakräutern. Ärzte der orientalischen Medizin können den Patienten auch eine Injektion, Antibiotika oder sogar narkotisierende Schmerzmittel wie Morphium geben.


Auch nachdem sie Ärzte geworden sind, müssen nordkoreanische Mediziner regelmäßig eine Prüfung für ihre Qualifikation ablegen: 


Nordkoreanische Ärzte sind angehalten, alle drei Jahre eine Qualifikationsprüfung abzulegen. Wenn sie durchfallen, wird ihnen ihre medizinische Zulassung aberkannt. Absolventen von medizinischen Schulen erhalten die Note sechs. Wenn sie die Qualifikationsprüfung machen, behalten sie die Einstufung oder die Note wird heraufgesetzt. Die Prüfung zur Anhebung der Note ist dabei natürlich schwieriger. Wenn sie eine höhere Note haben, können sie mehr verdienen oder befördert werden. 


Nordkorea hat die Monate April, Mai, September und Oktober zu Monaten erklärt, in denen Heilkräuter kultiviert werden. Die Menschen werden landesweit dazu angehalten, die Kräuterproduktion zu steigern. 


Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und des extremen wirtschaftlichen Rückgangs in Nordkorea in den 90er Jahren war es für das Land schwierig, sich Arzneien zu beschaffen, für die es auf Importe angewiesen war. Das ist ein weiterer Grund, warum Nordkorea den Fokus auf die Entwicklung einheimischer Behandlungsmethoden legte. Um den Kräuteranbau zu fördern, führte das Land sogar ein Kräutergesetz ein. Nordkorea machte es für Ärzte und Beamte des Gesundheitswesens zur Pflicht, Heilkräuter in der Wildnis zu sammeln:


Das Zentrale Managementzentrum für Östliche Medizin ist für den Kräuteranbau verantwortlich. Doch die Kräuter, die vom Staat verteilt werden, reichen nicht aus. Nordkorea hat den lokalen Kliniken empfohlen, Patienten mit Heilkräutern zu behandeln, die sie selber gesammelt haben. Doch das ist keine einfache Arbeit. In jedem Frühjahr und Herbst müssen alle Beschäftigten in den Krankenhäusern, egal ob sie Ärzte sind oder nicht, ihre Sammelquote für Kräuter erfüllen. Die Richtlinien sind sehr strikt. Klinikdirektoren, Parteisekretäre, Arbeiter und Köche in den Klinikkantinen sind in den Bergen auf Kräutersuche. Sie sammeln, reinigen und trocknen die Kräuter und liefern sie je nach ihren Quoten ab. 


Nach einem Bericht des Koreanischen Instituts für Orientalische Medizin in Südkorea von 2020 wenden die meisten nordkoreanischen Krankenhäuser überall im Land die Koryo-Medizin an. In den kleinen Kliniken entfallen auf die Koryo-Medizin 70 Prozent der Behandlungen. Es ist für Nordkorea aufgrund der internationalen Sanktionen gegen das Land sowie der Grenzschließungen wegen der Corona-Pandemie schwierig, medizinische Ausrüstung und Arzneien zu importieren. Als Folge davon wird das Land stärker auf die Koryo-Medizin angewiesen sein. 


Ende des vergangenen Jahres hielten in Südkorea das Nationalinstitut für die Entwicklung der Koreanischen Medizin und das Korea-Institut für Nationale Vereinigung eine akademische Konferenz unter dem Oberthema “Aufgaben und Perspektiven für die Förderung der innerkoreanischen Zusammenarbeit im Gesundheitswesen” ab. Die Teilnehmer teilten die Ansicht, dass die traditionelle Medizin ein gemeinsames Gut in Süd- und Nordkorea sei und dass es nötig sei, den stetigen bilateralen Austausch zu fördern, um die traditionelle Medizin auf beiden Seiten nach der Wiedervereinigung zu integrieren:


Grundlegend teilen Süd- und Nordkorea zahlreiche Elemente der traditionellen Medizin, obschon sie unterschiedliche Ausdrücke benutzen und verschiedene System betreiben. Der Ausbruch einer Krankheit in Nordkorea ist nicht nur ein Problem für Nordkorea. Das kann auch Südkorea betreffen. Ich denke, dass es für beide Seiten notwendig ist, Ideen für eine Zusammenarbeit zu entwickeln, um Nordkoreas Medizin- und Gesundheits-Infrastruktur zu verbessern. Wenn nordkoreanische Kinder in den nächsten Jahrzehnten zu gesunden Bürgern heranwachsen, wird das sicherlich auch eine positive Auswirkung auf Südkorea haben. 


Nordkorea macht seit langem Werbung für die Koryo-Medizin als nationale Medizin. Doch Experten sagen, dass es dringend nötig sei, einige moderne Elemente hinzuzufügen und ihre Sicherheit zu verifizieren. Südkoreas orientalische Medizin und Nordkoreas Koryo-Medizin haben sich aus der gleichen Wurzel entwickelt. Der bilaterale Austausch in diesem Bereich kann zu großen Teilen zur Wiederherstellung der derzeit abgekühlten innerkoreanischen Beziehungen beitragen. 

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