Zum Menü Zum Inhalt
Go Top

Kultur

Seo Seong-ran: „Die Frau eines Schriftstellers“ (2002)

2023-04-11

ⓒ Getty Images Bank

Er ist verschwunden. 

Seine Handynummer ist zu einer bedeutungslosen Nummer geworden, die nicht mehr existierte. Nicht ein einziger Hinweis auf seine Existenz ist auf meinen hundert Quadratmetern übrig geblieben. Er ist nur noch eine Figur in der Geschichte, die ich gerade schreibe. Mir geht gerade auf, dass ich mein Auszugsdatum schon einen Monat überschritten habe. Der 1. Dezember, der Tag, an dem er ging, war unser fünfter Hochzeitstag. Jetzt muss ich mich auch auf meinen Auszug vorbereiten.



Der Schriftsteller T, den ich nicht kannte, der aber irgendwo existierte, war auch die Hauptfigur meiner Geschichte. Er war ein Schriftsteller, der kein einziges Buch schreiben konnte, obwohl seine Frau ihn zehn Jahre lang hingebungsvoll unterstützt hatte. Vielleicht hatte er aber auch unzählige Geschichten geschrieben. Das Wichtigste war, dass seine Geschichten nie veröffentlicht wurden. 

Seine Frau war nicht nur die perfekte Ernährerin, sondern kümmerte sich auch um die Erziehung der Kinder und die Hausarbeit. Sie war immer besorgt, dass die Kinder in dem kleinen Haus zu viel Lärm machten, und gab ihnen nach dem Abendessen manchmal eine kleine Dosis Schlaftabletten ins Wasser.

Ihr war es zu verdanken, dass ihr Ehemann, der Schriftsteller, eine lange Reise antreten konnte. Da sie die Reisekosten mit ihrem mageren Einkommen nicht finanzieren konnte, hatte sie freiwillig eine Nacht mit dem Besitzer des Immobilienbüros verbracht, der sie angebaggert hatte. 

T. kehrte nicht zurück. Als er auch nach einem Monat nicht zurückkehrte, gab seine Frau eine Vermisstenanzeige auf und durchsuchte die Bücherstapel in seinem Zimmer. Computerunkundig wie sie war, konnte sie seine Schriften und Briefe, die in den Akten gespeichert waren, nicht lesen. 



Die Geschichte, die ich schrieb, handelte nicht von Yu-rims Mutter oder dem Schriftsteller T., sondern von dem Mann, der verschwunden war. 

In nur einem Monat verlor ich sehr viel Gewicht. Die Geschichte, an der ich gearbeitet hatte, ohne zu essen oder zu schlafen, umfasste über tausend Seiten. Selbst wenn sie veröffentlicht würde, würde er sie nicht lesen können. Er wäre nicht einmal in der Lage, sich vorzustellen, dass er in der Geschichte die Hauptrolle spielte. 

In dem Moment, als ich die Geschichte beendet hatte, ließ ich ihn gehen. Als ich dieses Haus verließ, war sein Wesen vollständig verschwunden und würde nur in Form gedruckter Buchstaben weiter existieren.




Seo Seong-ran (*1967): „Die Frau eines Schriftstellers“ (2002)

Die Redaktion empfiehlt

Close

Diese Webseite verwendet Cookies und andere Techniken, um die Servicequalität zu verbessern. Die fortgesetzte Nutzung der Webseite gilt als Zustimmung zur Anwendung dieser Techniken und zu den Richtlinien von KBS. Mehr >