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Kultur

Pyun Hye-young: „Die Geburt eines Zoos“

2022-03-22

ⓒ Getty Images Bank

Verschwunden war ein sibirischer Wolf, 120 Zentimeter lang, 48 Zentimeter davon allein der Schwanz, und 47 Kilogramm schwer.

Er hatte besonders lange und kräftige Beine, stand oft auf einem niedrigen Felsen und starrte zum Himmel hinauf. Es war nicht klar, was seine tiefen, goldbraunen Augen eigentlich betrachteten. Sein Appetit war unersättlich. Er fraß bei jeder Mahlzeit zwei ganze Hühner, aber nie bekam er genug, und so kaute er oft auf den abgefallenen Zweigen der Bäume herum. 



Der Wolf ging langsam auf den Mann zu. Ein Lichtschein fiel auf den Körper des Wolfes, vielleicht war es das Licht des Mondes, das Licht einer Straßenlaterne oder das Licht von Scheinwerfern entfernter Autos. Der Körper des Wolfs leuchtete weißlich auf. Seine schrägen goldbraunen Augen waren auf den Mann gerichtet.

Als sich ihre Blicke trafen, blieb der Mann aus irgendeinem Grund regungslos stehen. Aber es war nur in seinem Kopf. Eigentlich war nichts passiert. Allerdings war der Alkohol, der ihm den Kopf schwermachte, augenblicklich verflogen. Der Wolf ging an dem benommenen Mann vorbei und verschwand leise in der Nacht.

Der Mann stand ziemlich lange da, seinen Blick weiterhin auf den Wolf gerichtet, der dort in der Dunkelheit verschwand.


Der Sportschütze ging zu dem am Boden liegenden Schatten hinüber und feuerte noch einmal ab.

Der Schatten zuckte und verdrehte den Körper. Schwarzes Blut floss über den Asphalt. Die Kugeln hatten den Körper des Schattens durchdrungen. Da wurde dem Mann klar, dass es nicht der Wolf war, den er da getötet hatte.

Was tot auf dem Bürgersteig lag, war der Mann, der auf allen Vieren im Fell den Hügel hinuntergekrochen war. Vielleicht war es nicht der selbe Mann. Schließlich gab es viele Leute, die Tierfelle trugen. Das Felldesign war ähnlich, sie sahen alle gleich aus.




Pyun Hye-young (* 1972): „Die Geburt eines Zoos“

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