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Nordkorea

Wie feiern die Nordkoreaner Chuseok?

#Schritte zur Wiedervereinigung l 2022-09-07

Schritte zur Wiedervereinigung

ⓒ Getty Images Bank

Weniger als einen Monat nachdem ich in Südkorea eingetroffen war, feierte das Land die Chuseok-Feiertage. Als ich am Morgen Fernsehen geschaut habe, sah ich den Ausdruck “nationale Migration”. Die Autoahnen waren von den Autos verstopft. Ich erkannte, was nationale Migration wirklich bedeutet. Ich war überrascht zu sehen, wie Fahrer spontan und ohne jede Vorbereitungen ein Interview auf der Straße gaben, und ich war wirklich geschockt, diesen massiven Stau zu sehen. 


Das sagt ein nordkoreanischer Flüchtling. Wie diesem sind vielen Geflüchteten aus Nordkorea solche Szenen nicht bekannt, wenn große Mengen von Menschen an traditionellen Feiertagen in Südkorea ihre Autos besteigen, um in ihre Heimatorte zu fahren. Chuseok heißt in Korea das Erntedankfest, das auf den 15. Tag des 8. Monats nach dem Mondkalender fällt. Der Feiertag wird auch Gaebae, Gawi oder Hangawi genannt. Sein Ursprung lässt sich auf das alte Königreich Silla zückdatieren, und zwar auf das 1. Jahrhundert. Seit der nationalen Teilung im 20. Jahrhundert haben sich die Chuseok-Gebräuche in Süd- und Nordkorea unterschiedlich entwickelt. In Südkorea sind es drei Feiertage, die Chuseok umfasst, einen Tag vor und der Tag nach Chuseok eingeschlossen. In diesem Jahr fällt das Fest auf den 10. September. Weil es ein Samstag ist, wurde diesmal der Montag zu einem alternativen Feiertag erklärt. Für die Nordkoreaner dagegen gibt es über Chuseok nur einen freien Tag, sodass es für sie in der Regel nicht möglich ist, länger im Land zu verreisen. Über den traditionellen Feiertag in Nordkorea sagt Jeong Eun Chan vom National-Institut für Vereinigungserziehung in Südkorea, die selber aus Nordkorea stammt:  


Erstens, Nordkoreas Verkehrsinfrastruktur ist so unterentwickelt, dass es für die Bewohner nicht einfach ist, während des Chuseok-Feiertags zu verreisen. Es dauert zum Beispiel 20 Stunden, um selbst ohne Verspätungen mit dem Zug von Pjöngjang nach Chongjin fahren. Zweitens, es ist schwierig an einen Reisepass oder Reisezertifikat zu gelangen. Die Bewohner können vielleicht ihre Verwandten in benachbarten Bezirken besuchen, doch ist es schwierig, solche in abgelegenen Regionen zu besuchen. Drittens, es kostet einiges, um sich fortzubewegen. In Südkorea ist es normal, dass die Leute an Chuseok ihren Wohnort verlassen und mit ihrer Familie eine gute Zeit an einem anderen Ort verbringen. Die Nordkoreaner verbringen den Feiertag generell mit ihrer Familie und Verwandten in Gebieten, die in der Nähe ihrer Wohnungen liegen. 


Chuseok bietet für die Menschen die Gelegenheit, sich bei ihren Ahnen für eine volle Ernte in einer guten Saison ohne zu warmes oder kaltes Wetter zu bedanken. Ein altes Sprichwort besagt: “Möge es immer wie Chuseok sein, nicht mehr und nicht weniger.” Neben dem Mondneujahrstag ist Chuseok der wichtigste Feiertag. In Nordkorea ist das jedoch nicht so. Das Land verbot 1967 die Chuseok-Feiern. Der Feiertag verstoße gegen den sozialistischen Weg, hieß es. Doch wurde den Bürgern 1972 erlaubt, an Chuseok wieder die Gräber ihrer Ahnen aufzusuchen. 1988 wurde Chuseok zum traditionellen Feiertag erklärt. Doch spricht Nordkorea nicht vom “wichtigsten Feiertag des Landes”: 


In Nordkorea gibt es drei Arten von Feiertagen. Erstens, sozialistische, nationale Feiertage umfassen die Geburtstage der früheren Machthaber Kim Il-sung und Kim Jong-il, die Gründungstage der Regierung und der Arbeiterpartei sowie den Tag des Siegs, der die Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrags am 27. Juli 1953 markiert. Zweitens, der Internationale Frauentag am 8. März, der 1. Mai sowie der Tag des Kindes am 1. Juni werden als internationale Feiertage kategorisiert. Zuletzt gelten der Mondneujahrstag, Chuseok und Dano als traditionelle Feiertage. Während Chuseok in Südkorea als einer der wichtigsten Feiertage gilt, wird dieser Ausdruck in Nordkorea nur für Kim Il-sungs Geburtstag gebraucht. 


Die Südkoreaner kennen das “Post-Feiertagssyndrom”, wenn es um verschiedene Symptome geht, die für viele an den Chuseok-Feiertagen auch mit Stress verbunden sind. Es gibt viele Artikel, um dieses Syndrom zu vermeiden oder zu überwinden:


Der traditionelle Feiertag ist auch für nordkoreanische Frauen eine große Last, weil sie damit beschäftigt sind, die Mahlzeiten vorzubereiten. Während die Geschlechtergleichheit nach nordkoreanischem Gesetz garantiert wird, leiden viele Frauen um den Feiertag herum unter Stress oder Müdigkeit. Doch geht das nicht so weit, dass das in Nordkorea anders als in Südkorea, wo selbst ein neuer Ausdruck geschaffen wurde, um die schlechte Post-Feiertags-Stimmung zu beschreiben, zu einer sozialen Frage wird. Ich erinnere mich, dass meine Eltern Essen für die Ahnen-Gedenkzeremonie zubereitet und ein Ritual vor den Gräbern abgehalten haben. Damals dachte ich nicht, dass das harte Arbeit ist. Nachdem ich in Südkorea “Post-Feiertagssyndrom” gehört habe, glaube ich, dass es für meine Eltern wirklich schwierig war, all das Essen vorzubereiten. 


An Chuseok senden die nordkoreanischen Medien entsprechende Berichte dazu. Sie sagen etwa, dass ein endloser Strom von Menschen zum Friedhof der Patriotischen Märtyrer ziehe:


An traditionellen oder nationalen Feiertagen wie Chuseok und Kim Il-sungs Geburtstag besuchen die Nordkoreaner die Statuen der früheren Machthaber, den Kumsusan-Palast der Sonne, wo die Leichname der früheren Anführer aufbewahrt werden, oder den Friedhof der Patriotischen Märtyrer in Pjöngjang. Nicht alle Bewohner folgen dem Ritus, weil es für die Menschen in den ländlichen Gebieten schwierig ist, den Nationalfriehof in Pjöngjang zu besuchen. Die Bürger aus den nahe gelegenen Regionen werden vielmehr ermutigt, diese Orte freiwillig aufzusuchen, während das für Institutionen und Gruppen Pflicht ist. 


An Chuseok geht es nicht ohne Songpyeon. Der wie ein Halbmond geformte Reiskuchen ist mit Sesamsamen oder Bohnen gefüllt und wird auf Tannennadeln gedämpft. Die nordkoreanischen Songpyeon sind dagegen mit Gemüse wie etwa Chinakohl oder Zwiebel gefüllt. Der Kohl wird dabei neben anderem Gemüse in siedendem Wasser blanchiert und in große Stücke geschnitten. Hinzu kann auch gebratenes Hackfleisch, roter Pfeffer, Salz und Knoblauch kommen. Von dem Reiskuchenteig werden kleine Stücke zu Bällchen geformt, in die Mulden gebildet werden, in die die Füllung gelegt und die dann geschlossen werden: 


Nordkoreanische Songpyeon sind doppelt so groß wie die südkoreanischen. Einige Songpyeon in der Region Kaesong sind dreimal so groß. Der Reiskuchen variiert je nach Region, das hängt davon ab, welche Zutaten für die Füllung genommen werden. In der Provinz Nord-Hamgyong zum Beispiel werden dazu Gemüse, Schweinefleisch und Tofu vermischt. Kimchi oder Kidneybohnen aus der neuen Ernte werden dafür manchmal ebenfalls benutzt. Wie in Südkorea glauben die Nordkoreaner, dass diejenigen, die schöne Songpyeon machen, eine schöne Tochter haben werden. Die Nordkoreaner legen Songpyeon jedoch nicht auf den Gedenktisch für die Ahnen. Sie servieren stattdessen flachen Reiskuchen mit dekorativen Mustern, die Jeolpyeon genannt werden. Das heißt, sie machen Songpyeon, um es mit ihren Verwandten zu teilen und nicht um sie für ein Gedenkritual anzubieten. 


Die Verwendung der Reiskuchen mag in Süd- und Nordkorea unterschiedlich sein, doch wenn es um die Chuseok-Zeremonien allgemein geht, verhalten sich die Menschen in beiden Ländern ähnlich. Am Morgen gibt es einen speziellen Gedenkdienst für die Vorfahren, der auch Charye genannt wird. Nahrungsmittel und Getränke werden bei dem Ritual als Gabe vorbereitet. Später besucht man zusammen mit der Familie die Gräber der Ahnen. Danach versammeln sich die Bewohner eines Dorfs, um zusammen einige Volksspiele zu spielen oder sich sportliche Wettkämpfe anzusehen. Dazu gehört auch das Ssireum genannte koreanische Ringen. Die Unterhaltung an Chuseok ist ohne Ssireum nicht komplett. Wie in Südkorea findet an dem Feiertag ein landesweiter Wettkampf statt. Die lokalen TV-Stationen zeigen die größeren Wettkämpfe in Pjöngjang, die viele Zuschauer vor die Fernseher locken. Der Sieger erhält einen Bullen und eine goldene Kuhglocke als Preis. Sie bringen ihm landesweite Popularität ein. 

Während Chuseok in Süd- und Nordkorea in der Regel als Familienfest gefeiert wird, fühlen sich manche Menschen an solchen traditionellen Feiertagen besonders einsam. Zu ihnen zählen auch Angehörige von Familien, die durch den Korea-Krieg auseinandergerissen wurden, oder heimatlose Menschen, die ihre Heimat Nordkorea vor langer Zeit verlassen haben. Für die Flüchtlinge in Südkorea ist es so gut wie unmöglich, trotz der geographischen Nähe in ihre Heimatorte zu reisen, um ihre Lieben wiederzusehen. Was sie noch trauriger macht, ist der Umstand, dass die innerkoreanischen Begegnungsprogramme für getrennte Familien seit Jahren ausgesetzt sind. Das bisher letzte organisierte Treffen gab es im August 2018: 


Etwa 133.000 Südkoreaner waren registriert, die sich mit ihren Angehörigen in Nordkorea treffen wollten. Doch viele von ihnen leben nicht mehr. Das Durchschnittsalter der Betroffenen lag bei etwa 80, und jedes Jahr sterben mehr. Die Wiedersehen der getrennten Familien sollten so schnell wie möglich wiederaufgenommen werden, so dass die erste Generation der kriegszerrissenen Familien ihre verlorenen Verwandten noch einmal treffen kann, bevor sie stirbt. 


Wie jedes Jahr an Chuseok werden wohl auch dieses Jahr wieder zahlreiche Mitglieder dieser zerrissenen Familien in Südkorea an den Imjingak-Pavillon nahe der innerkoreanischen Grenze fahren, um einen Blick hinüber zu werfen. Die meisten von ihnen werden wahrscheinlich nicht wissen, ob ihre Angehörigen noch am Leben sind. Ähnlich dürften auch viele Nordkoreaner engste Angehörige in Südkorea vermissen. Die Südkoreaner hoffen, dass auch die Menschen in Nordkorea am 10. September einen fröhlichen Chuseok-Feiertag erleben. Viele Menschen richten ihren Blick in der Nacht von Chuseok auf den Vollmond mit dem Wunsch, dass sie ihre Angehörigen in Süd- oder Nordkorea eines Tages wiedersehen können.

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