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Nordkorea

Die Jangmadang-Generation in Nordkorea

#Schritte zur Wiedervereinigung l 2022-08-10

Schritte zur Wiedervereinigung

ⓒ KBS 

In Südkorea steht der Ausdruck Generation MZ für zwei Gruppen: die Millennials und die Generation Z. Die Menschen der Generation MZ wurden zwischen Anfang 1980 und den frühen 2000er Jahren geboren. Während Millennials einer Übergangsperiode zugerechnet werden, als die Gesellschaft den Übergang zum digitalen Zeitalter in Angriff nahm, werden Mitglieder der Generation Z auch als “digital natives” bezeichnet, also Menschen, die mit dem Computer und Internet groß geworden sind. Der Generation MZ wird zugesprochen, dem individuellen Glück, aber auch dem Teilen den Vorrang zu geben. In Südkorea macht sie etwa 30 Prozent der Bevölkerung aus, in der sie einen großen Einfluss hat. Wie steht es mit der jungen Generation in Nordkorea? Dort wird Jangmadang-Generation genannt, was in Südkorea als Generation MZ gezählt wird. Jangmadang bedeutet wörtlich Marktplatz. Dabei handelt es sich um private Märkte oder Schwarzmärkte, die während der extremen Wirtschaftskrise in den 1990er Jahren entstanden. Nordkorea selbst unterteilt die Generationen nach größeren historischen Ereignissen. Die erste revolutionäre Generation zum Beispiel bezieht sich auf Personen, die zwischen 1910 und 1930 geboren wurden. Mitglieder der zweiten revolutionären Generation werden der Chollima-Generation zugerechnet. Sie nahmen am Korea-Krieg teil und erlebten den Wiederaufbau. Diejenigen, die die dritte Revolution in den 1970er Jahren angeführt haben, gehören der sogenannten Team-Bewegung der drei Revolutionen an. Menschen, die die Hungersnot in den 90er Jahren durchlebten, werden auch als Angehörige der Generation des mühsamen Marschs genannt. Als die staatlichen Rationen suspendiert wurden, waren die Nordkoreaner gezwungen, selbstständig über die Runden zu kommen. Sie begannen damit, Handel zu treiben und Waren auf den Jangmadang zu tauschen. Daher stammt der Name “Jangmadang-Generation”. Es wird geschätzt, dass 3,5 Millionen Menschen, oder 14 Prozent der Bevölkerung, dieser Generation zugehören. Der Markt wurde zum Teil ihrer Kindheit. 

Der Dokumentarfilm “Die Jangmadang-Generation” wurde 2019 in Südkorea beim Filmfestival für Menschenrechte in Nordkorea gezeigt. Die nordkoreanischen Interviewpartner, die in dem Film erschienen, hinterließen den Eindruck, dass sich diese neue Generation von der älteren Generation deutlich unterscheidet. Die Washington Post besprach den Film auf ihrer Website und kommentierte, dass das Rationierungssystem während der Periode des “mühsamen Marschs” eine Jangmadang-Generation hervorgebracht habe, die unabhängiger sei und kapitalistisch denke. Auch habe sie den Mut, ihr eigenes Leben zu bestimmen. Dazu sagt Jeong Eun Mee vom Koreanischen Institut für Vereinigungserziehung: 


Die Jangmadang-Generation profitierte nicht vom sozialistischen System in Nordkorea. Es ist einfach zu verstehen, dass der Kollektivismus und die entsprechenden Regeln für diese jungen Menschen nicht wirklich funktionierten, und dass es nicht genug Zusammenhalt gibt, der sie ideologisch zusammenbringt. Sie legen mehr Gewicht auf sich selber und ihre Familien. Das ist ein bedeutender Unterschied zu früher. Die junge Generation hängt zudem vollständig vom Markt ab. Früher waren die Nordkoreaner in der Lage, ihre Grundversorgung aufrechtzuerhalten, solange sie dem Staat treu waren. Doch heutzutage verdient sich die Mehrheit ihr Brot durch Marktaktivitäten. Es ist daher kein Wunder, dass der Markt Vorrang in ihrem Leben hat. 


Die Jangmadang-Generation hat direkt oder indirekt von Kindesbeinen an erlebt, was es heißt, Geld zu verdienen und Nahrungsmittel vom Markt zu bekommen. Dazu sagt ein nordkoreanischer Flüchtling: 


Meine Eltern lebten in einer Zeit, in der sich die Regierung um alles kümmerte. Doch das trifft für unsere Generation nicht zu. Wir müssen alles selbstständig machen. 


Ein anderes Merkmal, das diese jungen Menschen auszeichnet, ist die Tatsache, dass sie digital-freundlich eingestellt sind. Jeong:


Ein wichtiger Teil der Politik des Kim Jong-un-Regimes ist es, Arbeitskräfte für die Wissenschaft und Technologie heranzuziehen. In einem gemeinsamen Leitartikel vom 1. Januar 2012, dem ersten Jahr unter Kim, präsentierte Nordkorea das nationale Ziel, das Land in eine wissensbasierte Gesellschaft umzuformen. Im selben Jahr führte Nordkorea ein zwölfjähriges Pflicht-Bildungssystem ein und stärkte die Fortbildung in der Informationstechnik. Später eröffnete Nordkorea landesweit 190 technische Schulen, die auf die Informationstechnik spezialisiert sind, und weitete den Fernunterricht aus. Dank dieser Politik konnten die jungen Menschen ihre Fähigkeiten verbessern, digitale Geräte zu benutzen. Ihr starker Wunsch, eine große Auswahl von kulturellen Inhalten zu haben, hat sie dazu gebracht, solche Geräte zu verwenden. 


Die ausländische Kultur gelangte während der großen Not in den 90er Jahren über die Jangmadang ins Land. Nach dem ersten innerkoreanischen Gipfeltreffen im Juni 2000 gab es zwischen Süd- und Nordkorea in verschiedenen Bereichen einen regen Austausch. Unter anderem wurde die südkoreanische Popkultur sehr populär in Nordkorea. Ein nordkoreanischer Flüchtling: 


Acht von zehn Nordkoreanern kennt südkoreanische Fernsehserien oder Musikstücke. Ich war wie bessen von südkoreanischen Serien. Ich habe immer an sie gedacht. Südkoreanische Seifenopern sind großartig. 


Das Institut für Frieden und Vereinigung an der Seouler National-Universität führte seit 2011 jedes Jahr eine Umfrage unter nordkoreanischen Flüchtlingen durch. Laut einer Umfrage unter 227 Flüchtlingen, die zwischen 2018 und 2020 aus ihrem Land flüchteten, sagten 87,2 Prozent der Befragten, dass sie in ihrem Heimatland südkoreanische Kulturinhalten kennengelernt haben. Für die Befragten im Alter von 20 bis 40 Jahren stieg dieser Wert auf über 90 Prozent.  


Kim Jong-un, der 1984 geboren wurde, gehört ebenfalls zur Jangmadang-Generation. Er ging in der Schweiz zur Schule. Auch das ist ein Grund, warum zahlreiche Menschen in Nordkorea erwarteten, dass Kim flexibler im Umgang mit ausländischer Kultur sein würde. Tatsächlich schien es anfangs, dass er versucht, die nordkoreanische Kultur auf ein neues Niveau zu heben, und von der alten Praxis abzusehen, die Menschen zu zwingen, die ideologisch gefärbte und staatlich kontrollierte Kultur aufzunehmen. Die Gründung der Moranbong Band im Juli 2012 ist ein gutes Beispiel. Die Mitglieder dieser nordkoreanischen Mädchengruppe spielten elektronische Instrumente unter Laserlicht, trugen schulterfreie Kleidung und ausgefallenen Schmuck. Die Band galt als ein Symbol der Veränderungen. 

Ihr Auftritt im Mansudae-Kunsttheater in Pjöngjang war für die nordkoreanische Gesellschaft wie ein Schock. Sie spielten berühmte westliche Hits und Musik aus Disney-Zeichentrickfilmen. Doch im Kontrast zu ihrem spektakulären Bünenauftritt hatten die nordkoreanischen Künstler den klaren Auftrag, Regimepropaganda zu verbreiten. Einem Bericht des Instituts für Frieden und Vereinigung zufolge erreichten die Zustimmungswerte für Kim Jong-un unter Menschen in den Zwanzigern 71,1 Prozent. Das war der höchste Wert unter allen Altersgruppen. Doch der Wert nahm seit 2018 wieder ab. Dazu sagen nordkoreanische Flüchtlinge:

 

#1: Der Machthaber war anfangs sehr beliebt. Die Menschen erwarteten von ihm, dass er das Land in anderer Form führen würde. Er schien etwas Besonderes zu haben. Doch später realisierten die Menschen, dass er nicht anders war. 


#2: Ich hatte hohe Erwartungen an den Vorsitzenden Kim, weil er ein junger Machthaber war, der in der Schweiz zur Schule ging. Ich hoffte, dass sich Nordkorea wie China entwickeln könnte, obschon nicht so weit wie Südkorea. Doch wegen der Erwartungen war ich später umso enttäuschter. 


Die jungen Leute erwarteten offensichtlich eine Zeit der Öffnung und Veränderungen. Doch die Gesellschaft bleibt auch nach zehn Jahren Kim Jong-un an der Macht geschlossen:


Als ich junge nordkoreanische Flüchtlinge danach fragte, was sie in Nordkorea so unglücklich macht, sagten viele, dass die Kinder der herrschenden Elite und hochrangiger Funktionäre niemals bestraft werden, obwohl sie sich südkoreanische Videos anschauten, und dass es nur die schwächeren Menschen sind, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Sie beklagen, dass Nordkorea nur gegen junge Leute vorgeht, die sich nach solchen Inhalten umschauen. Die Welt, die sie in den südkoreanischen Videos sehen, ist frei und gleichberechtigter. Im Kontrast dazu spüren sie, dass die Welt, in der sie leben, diskriminatorisch ist. Ich denke, diese Gefühle können soziale Unzufriedenheit auslösen. 


Im Dezember 2017 ermahnte Kim die Teilnehmer einer Sitzung von Parteizellen-Sekretären der Arbeiterpartei dazu, unsozialistische Praktiken auszumerzen. Ähnliche Forderungen äußerte er in seiner Neujahrsansprache von 2018:

 

Der Konsum von südkoreanischen Videos und der südkoreanischen Popkultur könnte die jungen Leute in Nordkorea dazu verleiten, die freie südkoreanische Geselslchaft zu bewundern. Das ist eines der bedrohlichsten Elemente, die das nordkoreanische Regime erschüttern können. Der Chef des Büros der Staatsanwaltschaft in der Provinz Ryanggang schrieb 2019 einen Artikel für die Juli-Ausgabe eines offiziellen Magazins der Arbeiterpartei. Er schrieb, dass die illegalen Veröffentlichungen sowie Kleider und Dinge mit ausgefallenen Mustern durch verschiedene Kanäle in Nordkorea eindringen würden. Die Behörden seien gezwungen, gegen sie vorzugehen. Der größte Feind sei nicht der äußere Feind, sondern der ungehörige Trend, der gegen den sozialistischen Lebensstil verstoße. Der Artikel zeigt, dass sich die nordkoreanische Regierung durch fremdartige Ideen und Kultur bedroht fühlt.


Nordkorea verabschiedete im Dezember 2020 ein Gesetz, das reaktionäre Ideologie und Kultur verbietet. Wenig Details sind bekannt, doch verbietet es das Gesetz unter Strafandrohung, dass unter den Bürgern ausländische kulturelle Inhalte verbreitet werden. Während einer Militärparade im April dieses Jahres wurden jüngere Leute dazu gebracht, Schilder hochzuhalten, die Phrasen wie “Wohlstand und Militärmacht” zeigten. Kim Jong-un habe zusammen mit diesen jungen Menschen Erinnerungsfotos gemacht, hieß es im Staatsfernsehen. Ein Foto, das den Machthaber zeigt, wird als “Foto Nr. 1” bezeichnet. Experten sagen, dass die Veröffentlichung dieses Fotos an die Jangmadang-Generation gerichtet sei:


In den nordkoreanischen Berichten hieß es, dass der Machthaber 20 Fotos mit den jungen Leuten gemacht hat, um der jungen Generation klar zu machen, dass er sie wertschätzt. Doch schickt Nordkorea junge Menschen in harte Gegenden und an schwierige Produktionsstätten, ohne dass sie dafür materiell belohnt werden. Fotos mit dem Machthaber werden für ihre künftige Karriere also sehr wichtig sein. In diesem Sinn sind diese Fotos politisch motiviert.  


Trotz des Vorgehens der nordkoreanischen Regierung scheint die Loyalität der jüngeren Generation gegenüber der Partei eher schwach. Ob sie Kim Jong-un noch erreichen kann, bleibt abzuwarten.

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