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Lifestyle

Anredeformen im Koreanischen

#Sie fragen, wir antworten l 2015-01-24

Hörerecke

Q:Wie viele Anredeformen gibt es im Koreanischen?

A:Eine ganze Menge. Das System der Anredeformen im Koreanischen ist komplizierter als das im Deutschen, das sich im Wesentlichen auf die Unterscheidung zwischen Duzen und Siezen beschränkt. Neben den eigentlichen Anredeformen, die meist in der Nennung der jeweiligen sozialen Rolle bestehen (z. B. 아버지 Vater, 어머니 Mutter, 교수님 Herr oder Frau Professor, 기사님 Herr oder Busfahrer, 학생 Schüler usw.) gibt es im Koreanischen ein umfangreiches Honorativsystem verschiedener Höflichkeitsstufen, die in den Endungen der verwendeten Verben Ausdruck finden. Die Sprechstufen können in verschiedener Weise klassifiziert werden, grob unterscheiden kann man aber zwischen sieben verschiedenen Sprechstufen von hoher, mittlerer und niedriger Formalität, die jeweils noch zusätzlich mit dem Honorativmorphem „–si“ versehen werden können, so dass man insgesamt 14 Varianten unterschiedlicher Formalität und Höflichkeit erhält. Weitere sprachliche Nuancierungen können dann noch hinzukommen. Bei der jeweiligen Wahl der Sprechstufe und der Höflichkeitsform spielen vor allem Alter, Geschlecht, sozialer Status und Sprechsituation der Gesprächspartner eine wichtige Rolle. Das Ganze ist so kompliziert, dass man meiner Erfahrung nach Jahre braucht, um sich wirklich sicher damit zurechtzufinden. Hier ein kurzer Überblick.

Die einzelnen Sprechstufen werden üblicherweise nach der jeweiligen Imperativform des Verbs „하다 machen“ benannt. Die höchste Sprechstufe ist der sogenannte Hasoseo-che, eine sehr formale, sehr höfliche, aber im Alltag nicht mehr gebräuchliche Form, die man heute vor allem in religiösen Texten wie beispielsweise der Bibel, dem Koran oder buddhistischen Schriften als Anredeform für Gottheiten oder Heilige, oder in Historiendramen als Anredeform für Könige oder Kaiser findet. (Beispiel: 주님, 저희에게 자비를 베푸소서. Herr erbarme dich unser.)

Im heutigen Standardkoreanisch sehr gebräuchlich ist dagegen der ebenfalls formale und höfliche Hapsyo-che. Verwendet wird er beispielsweise zu Beginn einer Konversation mit fremden Personen, zwischen männlichen Dienstkollegen, gegenüber Kunden im Geschäft oder von Sprechern im Fernsehen. (Beispiel: 안녕하십니까? Formale Begrüßung im Sinne von „Guten Tag“)

Als mittlere Sprechstufen betrachtet werden der sogenannte Haeyo-che, der Hao-che und der Hage-che. Im Alltag am häufigsten hört man den Haeyo-che, den man als Ausländer meist auch als erstes lernt. Er ist ebenfalls höflich, aber weniger förmlich. Er wird beispielsweise verwendet zwischen Bekannten, zwischen weiblichen Kollegen oder oftmals auch zwischen Studenten. (Beispiel: Annyeong Haseyo 안녕하세요? Die gleiche Begrüßung wie Annyeong Hasimnikka, aber etwas weicher, etwas lockerer.)

Der Hao-che, von hoher Formalität und neutralem Höflichkeitsgrad, wird vor allem von der älteren Generation benutzt, und von Autoritätspersonen gegenüber Untergebenen, beispielsweise von älteren männlichen Professoren gegenüber den Studierenden. Dieser leicht altmodisch wirkende Stil wird oftmals auch in Filmen und Romanen verwendet, um eine etwas nostalgische Atmosphäre zu erzeugen. (Beispiel: 먼저 가소. Nach Ihnen, bitte.)

Ähnliches gilt auch für den sogenannten Hage-che. Er ist von neutralem Formalitäts- und Höflichkeitsgrad und wird ebenfalls eher von der älteren, vor allem männlichen Personen verwendet. (Beispiel: 지금 바로 사무실로 오게. Sie kommen jetzt bitte sofort in mein Büro.)

Zu den niedrigen Sprechstufen zählen Haera-che und Hae-che, die oftmals vermischt benutzt werden und viele Formen gemein haben. Haera-che wird verwendet zwischen engen Freunden, von Erwachsenen gegenüber Kindern, aber auch in unpersönlich gehaltenen schriftlichen Texten, beispielsweise in Büchern, Zeitungen und Zeitschriften. (Beispiel: 그 신발 참 예쁘다. Hübsche Schuhe.) Der Hae-che vor allem zwischen engen Freunden und gegenüber Kindern oder Haustieren. (Beispiel: 일어나, 어서 학교에 가! Los steh auf, du musst zur Schule.)

Um sich in der koreanischen Gesellschaft sprachlich zurechtzufinden, ist die Kenntnis der verschiedenen Sprechstufen unabdingbar. Sie sind zugleich Faktor und Ausdruck des sozialen Gefüges der koreanischen Gesellschaft. Dadurch, dass nicht nur die unmittelbaren Anredeformen, sondern alle Verben die Sprechstufe widerspiegeln, wird in jedem Satz, mit jeder Verbform die Beziehung, und zwar meist eine hierarchische Beziehung, zwischen den Gesprächspartnern definiert. Auch wenn ein scheinbar vollkommen neutraler sachbezogener Satz, wie beispielsweise „Es regnet“ geäußert wird, kann man im Koreanischen an diesem Satz sofort erkennen, in welchen Verhältnis die beiden Sprecher zueinander stehen. Hierdurch kann einerseits eine gewisse Distanz entstehen, da sprachlich stets auf soziale Hierarchien verwiesen wird, aber zugleich auch eine mentale Nähe, da jede Äußerung unweigerlich die jeweilige Beziehung der beiden Sprecher hervorhebt.

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