Im März 1992 hatte ein neues männliches Gesangs- und Tanztrio namens Seo Taiji and Boys unter Leitung des erst zwanzigjährigen Leadsängers Seo ihr Debüt mit dem Titel „I know“. Die Boygroup bestach mit aufwendigen Tanzchoreografien der drei Jungs Seo Taiji, Lee Juno und Yang Hyun-suk zu pulsierenden elektronischen Sounds.

Anders als das Englische weist die gesprochene koreanische Sprache viele Verschlusslaute wie „p“ oder „t“ auf und hat am Silbenende oft mehrere Konsonanten, die das rappen fast unmöglich machen. Doch die Taiji-Boys ließen sich davon nicht einschüchtern und feuerten im typisch amerikanischen Stil Hip-Hop-Lyrik zu ihrer Musik ab. Jugendliche Koreaner waren von der neuen Art von Musik, die Rap, Tanzeinlagen und pulsierende Rhythmen kombinierte, völlig begeistert. Seo Taiji and Boys leiteten mit ihrer experimentellen Musik im Alleingang ein neues Zeitalter in der koreanischen Popmusik ein.

Die Gruppe wurden zu einer Ikone für die Generation der 1990er. Allerdings reagierten die etablierte Musikindustrie und ältere Generationen auf die innovative Gruppe sehr kaltherzig. Ältere Menschen, die mehr an Balladen und Volksmusik gewöhnt waren, beobachteten die drei jungen Männer mit Argwohn, wenn sie ihre Rap-Texte zu den hämmernden Beats abfeuerten und mit schwindelerregenden Tanzfiguren über die Bühne fegten.

Frau 1: Als Seo Taiji and Boys das erste Mal auftraten, war mir nicht ganz klar, dass das auch Musik war. Ich dachte auch nicht, dass sie Talent hätten. Ich mochte ihr Outfit nicht und konnte nicht verstehen, warum junge Menschen so verrückt nach ihnen waren.

Mann 1: Ihre Musik war ungewohnt für uns, weil ihre Musik völlig verschieden von der herkömmlichen Musik war. Ehrlich gesagt war ich nicht der Meinung, dass das Musik war. Auch die Art, wie sie sich anzogen und tanzten, war so schockierend, dass wir das einfach nicht verstehen konnten.

Mann 2: Ich war sehr verwirrt, als ich zum ersten Mal ihre Musik hörte. Die Rhythmen waren ganz anders. Früher habe ich immer auf den Text geachtet, wenn ich Lieder hörte, aber bei ihren Songs ging das nicht. Mir wurde langsam klar, dass koreanische Musik immer mehr wie ausländische Popmusik klingt.

Doch die Jugendlichen dachten anders. Sie hatten keine Probleme damit, die Texte von Songs wie „I Know“ und „You in the Fantasy“ zu lernen und strömten zu den Konzerten des Trios. Die jugendlichen Anhänger gründeten Fanklubs und gaben sich ganz der Verehrung zu ihren Idolen hin, die drauf und dran waren, neue musikalische Gebiete zu erobern.

Mann 1: Es war wie ein Schock. Vor ihrem Debüt gab es keine derartigen Songs. Rap war ganz neu und auch die Themen, über die sie sangen, waren ungewöhnlich. Die Texte handelten von den Problemen der Jugendlichen, die in früheren Liedern nicht thematisiert wurden. Ich denke, dass die Jugendlichen ihren Frust durch diese Songs besser bewältigen konnten.

Mann 2: Die Rap-Musik war erfrischend, ich liebte es! Auf Klassenfahrten machten wir damals immer eine Talent-Show. Wir haben alle immer nur Seo Taiji und die Jungs nachgemacht. Niemanden hat das damals kalt gelassen.

Mann 3: Ich war ihr größter Fan, als ich in der 8. Klasse war. Mit meinen Freunden habe ich gesungen und getanzt, ich war in einem Fanklub und ging zu ihren Konzerten. Es war eine tiefe, leidenschaftliche Liebe zu den Taiji-Boys und ihrer Musik.

Seo Taiji and Boys wurden zu Superstars, und ihre Popularität setzte neue Maßstäbe. Ihre Songs „I Know“ und „You in the Fantasy“ eroberten 1992 alle Musikshows und stellten mit 10 Wochen in Folge an der Spitze der Charts einen neuen Rekord auf. Von ihrem Debütalbum verkauften sie die Rekordzahl von 1,8 Millionen Tonträgern. Die unglaublichen Verkaufszahlen beruhten auf der unerschütterlichen Treue ihrer jugendlichen Fans. Die Jugendlichen kurbelten nicht nur die Album-Verkäufe an, sondern kreierten durch ihre Dominanz in der Popmusik eine ganz neue Art von Kultur. Professor Kim Chang-nam von der Abteilung für Massenkommunikation an der Sungkonghoe-Universität versteht dieses kulturelle Phänomen als das Aufkommen einer neuen Generation in der koreanischen Gesellschaft.

Die Generation der Jugendlichen, die damals auftauchte, war in vielerlei Hinsicht ganz anders als die ältere Generation. Es war die Video-Generation. Sie wuchsen auf, als Globalisierung und Digitalisierung weltweit verbreitet wurden und als sich die Demokratie in Korea etablierte. Im Gegensatz zu den älteren Generationen hatten sie keine Hemmungen, sich auszudrücken und Geld auszugeben, um sich kulturell zu verwirklichen. Durch diese begeisterte Ausdrucksfreude entstand die so genannte Kultur der neuen Generation, eine neue kulturelle Welle, die die Richtung der koreanischen Popkultur dramatisch veränderte.

Diese Jugendlichen waren ausgesprochen loyal zu Seo Taiji und seinen Jungs und gaben ihnen den Titel „Kulturpräsidenten“, da sie frischen Wind in die Musikszene der damaligen Zeit brachten, die voll war von tränenreichen Liebesliedern und Evergreens für ein älteres Publikum.

Mann 1: Damals hörten die älteren Schüler in den Klassen über uns Volkslieder und Balladen. Aber Seo Taiji and Boys erschafften ein neues Musikgenre, das andere neue Musikgenres nach sich zog. Ihre Songs eröffneten einen ganz neuen Horizont in der Musik.

Mann 2: Ich war beeindruckt, weil die typischen amerikanischen Pop-Musik-Rhythmen an die koreanische Musik angepasst wurden. Ihre Musik war anders als herkömmliche Musik. Ihre Ideen waren erfrischend und sie machten ganz neue Dinge, was ihnen den Ehrennamen „Kulturpräsident“ und „musikalische Genies“ einbrachte.

Mann 3: Ich konnte nicht zu ihren Konzerten gehen, weil ich keine Tickets bekam. Aber ich kaufte alle ihre Kassetten, obwohl meine Mutter immer schimpfte, weil ich mein Taschengeld für solche unnützen Dinge ausgab.

Mit derartigen Hardcore-Fans im Rücken griffen die Taiji-Boys Ende 1992 alle wichtigen Musikpreise ab und wurden zu den unbestritten besten Sängern des Jahres gekürt. Doch der Einfluss von Seo Taiji and Boys machte nicht bei der Musik halt. Ihr Outfit aus neonfarbigen T-Shirts, Baggypants und nach hinten getragenen Baseballkappen wurde unter den jungen Leuten Stilprägend.

Mann 1: Ich erinnere mich daran, dass ich die Mütze so wie Seo Taiji trug. So eine Kappe mit einem Markennamen drauf war einfach cool. Alle Kinder haben es ihnen nachgemacht.

Mann 2: Ich habe ihren Modestil nachgeahmt. Auch gefiel es mir, dass ihre Songs die damalige Zeit kritisierten, wo die meisten anderen Lieder damals über die Liebe waren.

Professor Kim Chang-nam von der Sungkonghoe-Universität sieht das Debüt von den Taiji-Boys im Jahr 1992 als Wendepunkt nicht nur für die koreanische Popmusik, sondern auch für die Popkultur insgesamt.

Durch das Auftauchen von Seo Taiji and Boys im Jahr 1992 wandte sich der Mainstream der Popkultur den Jugendlichen zu. Es war ein Wendepunkt, der die Jugendlichen in der Popmusik ins Zentrum rückte. Das Debüt der Gruppe geschah auch zur gleichen Zeit wie die Amtseinführung der neuen Regierung. So wurden Seo Taiji and Boys zu Vorbildern, die den Wunsch der jungen Generation nach einer neuen Kultur verkörperten.

Seo Taiji wurde 1972 in Seoul geboren und schloss sich mit 17 Jahren einer Rockband namens Sinawe als Bassist an. Er verließ die Schule, um sich auf die Musik zu konzentrieren, und sagte über seine Entscheidung einmal folgendes:

Ich entschloss mich dazu, Musiker zu werden, als ich im ersten Jahr auf der High School war. Meine Noten waren schrecklich, und ich gab alle Hoffnungen auf das College auf. Wenn es ein College gegeben hätte, wo man Heavy Metal oder Hip-Hop studieren konnte, wäre ich dorthin gegangen, aber das gab es nicht. So beschloss ich, Musik auf eigene Faust zu studieren, und meine Eltern machten sich deswegen ziemliche Sorgen. Ich versuchte sie zu überzeugen, bis wir uns schließlich einigen konnten. Es gab ein paar Probleme, aber ich denke, dass meine Entscheidung richtig war. Ich möchte verschiedene musikalische Stile kombinieren, um meine eigene Musik zu kreieren. Ich will der Welt zeigen, dass ich mein Bestes gebe.

Seine Entscheidung, die Schule aufzugeben, um sich auf Musik und Tanz zu konzentrieren, war eine Inspiration für koreanische Jugendliche, die von einem Bildungssystem zermürbt wurden, das nur auf die Uni-Zulassung ausgerichtet ist. Seo Taijis Traum vom Schreiben seiner eigenen Musik wurde Wirklichkeit, als er im Juni 1993 sein zweites Album veröffentlichte.

Der Titelsong „Hayeoga” war das Resultat von Seos Experimentierfreudigkeit und zeigte das Ausmaß seiner musikalischen Transformation. Der Song war selbst eine Innovation, der die tragende Melodie einer E-Gitarre mit dazu passendem Rap und dem traditionellen koreanischen Blasinstrument Taepyeongso kombinierte. Seos zweites Album war mit 2,1 Millionen verkauften Tonträgern das erste des Landes, das die 2-Millionen-Marke knackte, und wurde von Musikkritikern zu einem der 100 besten Popmusik-Alben gezählt. Hier ist erneut Professor Kim Chang-nam.

Die neue Musik-Generation, die von Seo Taiji and Boys ins Leben gerufen worden war, war ein Symbol des Widerstands und unerfüllter Wünsche der Jugendlichen. Ihre Musik war nicht nur eine Ware, sondern ein Stück Kultur mit einer Botschaft. Das unterscheidet Seo Taiji and Boys von ihren Nachahmern.

Ihr drittes Album wurde im August 1994 veröffentlicht. Der Titelsong „Dreaming of Balhae“ handelte von der Teilung der koreanischen Halbinsel und der Sehnsucht nach Wiedervereinigung. Die Gruppe macht durch dieses Lied klar, dass ihre Songs auch einen ernsten Anspruch verfolgen. Ein anderer Song aus dem dritten Album, „Class Idea“, enthielt durch seine Kritik am standardisierten Bildungssystem Koreas eine provokante soziale Botschaft.

Die Kritik an der koreanischen Gesellschaft wurde im vierten Album fortgesetzt, das im Oktober 1995 herauskam. Der Song „Come Back Home“ über entlaufene Jugendliche wurde innerhalb einer Woche nach seiner Veröffentlichung mehr als eine Million Mal und insgesamt 2,4 Millionen Mal verkauft. Wie alle ihre Alben zuvor erreichte dieser Song ebenfalls Spitzenplätze in allen Musikshows und motivierte sogar einige entlaufene Jugendliche dazu, nach Hause zurückzukehren.

Dann kündigten Seo Taiji and Boys am 31. Januar 1996 plötzlich ihren Rücktritt an. Die Fans waren nach der Rücktrittsankündigung am Boden zerstört und viele versuchten, die Gruppe mit aller Macht davon abzubringen, jedoch ohne Erfolg. Die drei Superstars gingen schließlich getrennte Wege und hinterließen nur ihre Songs, die die koreanische Popkultur revolutioniert habenen.

Mann 1: Seo Taiji and Boys waren Pioniere der koreanischen Musik. Sie versuchten etwas völlig Neues und etablierten dies als musikalischen Trend.

Frau 1: Sie waren wirklich innovativ, wie bei der Kombination von Hip-Hop und traditioneller koreanischer Musik.

Mann 2: Sie waren Innovatoren, die einen neuen Weg in der koreanischen Musikgeschichte einschlugen. Sie machten Musik, die völlig anders als herkömmliche Musik war.

Mann 3: Die koreanische Popmusik kann eingeteilt werden in die Zeit vor und nach Seo Taiji.