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Geschichte

Jeon Tae-il entzündet die koreanische Arbeiterbewegung

2015-04-14

Jeon Tae-il entzündet die koreanische Arbeiterbewegung
Am Nachmittag des 13. November 1970 hielten um 13.30 Uhr ein junger Schneider namens Jeon Tae-il und zwölf seiner Kollegen vor dem Gebäude des Pyeonghwa-Marktes im Norden Seouls, wo sich ihr Arbeitsplatz befand, eine Demonstration ab, um Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen zu fordern. Der Protest dauerte gerade erst zehn Minuten, als plötzlich der Körper des 22-jährigen Jeon Tae-il in Flammen aufging. Er hatte sich selbst in Brand gesetzt, um gegen die erbärmlichen Arbeitsbedingungen im Pyeonghwa-Markt zu protestieren. Dieser schockierende Vorfall erschütterte die ganze koreanische Gesellschaft. Für Jeons Mutter Lee So-seon brach die Welt zusammen, als sie am Nachmittag vom Tod ihres Sohnes erfuhr. Das Nachfolgende ist aus einer Aufnahme aus einer Fernsehsendung vor ihrem Tod im Jahr 2011.

Damals gab es in jedem Viertel einen Lautsprecher, und immer, wenn es etwas Wichtiges gab, wurde es öffentlich bekannt gegeben. Ich hörte durch den Lautsprecher, dass die Mutter von Jeon Tae-il sofort nach Hause kommen sollte. Also lief ich nach Hause und sah dort eine große Menschenmenge. Dann sagte jemand durch das Lautsprechersystem, dass Jeon Tae-il sich selbst in Brand gesetzt hatte.

Verzweifelt hoffte sie, dass das alles nur ein Traum war, aber als sie ihren Sohn wiedersah, war er ganz in Bandagen eingewickelt und verlor immer wieder das Bewusstsein.

An jenem 13. November war es sehr kalt, nicht wie so wie heute. Mein Sohn war komplett ausgezogen und in Verband gewickelt, sogar der Kopf. Nur der Mund und die Nasenlöcher wurden ausgelassen. Ich berührte seine Lippen, sie waren hart wie Stein, weil sie ganz verbrannt waren. Er wollte nicht berührt werden, aber er gab mir zu verstehen, dass er mir etwas sagen wollte.

Unter Aufbietung allerletzter Kräfte sagte der sterbende junge Mann seiner Mutter, dass sie die Mission weiterführen solle, die er nicht beenden konnte.

Er hoffe, dass ich dies für ihn tun würde. Als ich ihm nicht sofort darauf antwortete, sagte er, dass er mich für eine Person hält, die sich nicht von materiellen Anreizen oder anderweitigen Verlockungen ablenken lassen würde. Ich sagte: „Okay, okay!“, aber er wollte sicher gehen, dass ich das machen würde, worum er mich gebeten hatte. Ich antwortete, dass ich das tun würde, und er forderte mich auf, lauter zu sprechen. Also sagte ich, dass ich seinen Wunsch erfüllen würde, selbst wenn mein Körper dabei zu Staub zerfallen sollte.

Der junge Textilarbeiter starb noch in derselben Nacht um 22.00 Uhr. Seine letzten Worte waren: „Mama, ich habe Hunger."

Jeon Tae-il wurde am 6. August 1948 in Daegu geboren. Die Familie war sehr arm, sein Vater arbeitete in einer Näherei. Mit elf war sein Vater völlig pleite und der junge Jeon musste die Grundschule verlassen, um Geld zu verdienen. Er nahm jede Arbeit an, die er finden konnte, um den Lebensunterhalt für seine Familie zu bestreiten. Er putzte Schuhe, verkaufte Zeitungen und bettelte sogar manchmal, um seine Familie durchzubringen. Er hinterließ viel schriftliches Material, und ein Tagebucheintrag vom August 1962 zeigt, wie erschöpft er vom Leben war.

Die Sonne brennt, als ob sie vorhat, alles auf dem trockenen Boden zu verbrennen. Ein 14-jähriger Junge suchte unter dem Vordach eines Schaufensters etwas Schatten und befühlte seinen leeren Magen. Ich denke mir: „Was finden diese Leute so interessant? Warum sind sie so glücklich? Ich hungere dauernd und bin immer kaputt. Warum muss ich solche schäbigen Schuhe tragen, die jemand weggeworfen hat, und diese schmutzige, alte Kleidung, die nicht zur Jahreszeit passt?“

Selbst wenn er hungrig war und erschöpft von der Arbeit verlor Jeon nie sein Interesse am Lernen. Als er 1963 fünfzehn wurde, ging er in die Mittelschule, doch leider konnte er dort nicht einmal das erste Jahr abschließen. Im folgenden Jahr fing er als Lehrling in einer Näherei im Pyeonghwa-Markt an. Er war damals erst sechzehn Jahre alt. Im Jahr zuvor hatten kleine Nähereien im Gebiet um den Cheonggye-Bach, wo sich der Markt befand, aufgemacht. Allein der Pyeonghwa-Markt zählte in den ersten beiden Obergeschossen mehr als 500 Näh-Geschäfte. Unnötig zu erwähnen, dass die Arbeitsbedingungen in diesen kleinen Ausbeuterbetrieben unvorstellbar schrecklich waren. Herr Lim Hyeon-jae hatte mit Jeon im Pyeonghwa-Markt gearbeitet.

Es gab drei Arten von Arbeitsumgebungen. Im Dachgeschoss konnten die Menschen nicht aufrecht stehen, sodass der Raum den Arbeitern gegeben wurde, die normalerweise im Sitzen arbeiteten. Es gab keine Belüftung und wir mussten in einem Raum arbeiten, der voll mit Staub von den ganzen Stoffen war. Viele von uns haben daher eine Lungenkrankheit bekommen. Wir mussten auch sehr lange arbeiten. Die Arbeiter kamen morgens um sieben Uhr und gingen abends um elf nach Hause, aber manchmal mussten wir bis nach Mitternacht arbeiten. Wir arbeiteten im Durchschnitt 16 Stunden pro Tag.

Jeon hielt es nicht für fair, ohne einen angemessenen Lohn unter solch schrecklichen Bedingungen zu arbeiten. Hier ist ein Eintrag aus seinem Tagebuch von 1966.

Ich fand es so unfair, dass die Arbeitszeit für diese harte Arbeit viel zu lang war und dass wir immer Überstunden machen mussten. Wir durften den Befehlen der Vorarbeiter nicht widersprechen, denn sie haben die absolute Macht über uns in der Fabrik. Wenn wir Überstunden machten, konnten wir am Tag danach nicht mehr so viel leisten. Aber für einfache Arbeiter wie uns es gab kein Entrinnen, wir waren den Fabrikbesitzern gegenüber immer im Nachteil.

Rund 20.000 Arbeiter haben in den späten 1960er Jahren im Pyeonghwa-Markt gearbeitet, und davon waren 80-90 Prozent jugendliche Mädchen. Jeons Mutter Lee So-Seon erzählt darüber, was ihr Sohn für diese Mädchen getan hat.

Mein Sohn sagte mir, dass die anderen Arbeiterinnen alle jünger als er waren. Sie mussten bis in die Nacht arbeiten, wenn sie ihre Quoten nicht erfüllten. Die Mädchen stöhnten vor Hunger, wenn es ihnen endlich erlaubt wurde, nach Hause zu gehen. Dann kaufte er ihnen Snacks von seinem Geld für den Bus, und er selbst lief zu Fuß nach Hause.

Jeon kaufte den kranken Mädchen Medikamente oder übernahm ihre Arbeit. Was er in der Fabrik sah, muss ihn sehr mitgenommen haben. Hier ist ein Tagebucheintrag von 1968.

Wir sind alles Menschen, aber warum müssen die armen für die reichen schuften? Warum sollen unschuldige kleine Mädchen zur Bereicherung schmutziger, alter Männer leiden? Ist das die Realität dieser Gesellschaft? Ist dies das Gesetz von Reich und Arm?

Bis 1968 wusste Jeon nicht einmal, dass es in Korea ein Gesetz über die Arbeitsbedingungen, das Labor Standards Act, gab. Ihm wurde klar, dass die Arbeiter sich organisieren mussten, um ein menschliches Leben zu ermöglichen, und er nahm sich vor, die Arbeitspraktiken und Arbeitsbedingungen zu verändern. Hier ist Jeons ehemaliger Kollege Lim Hyeon-jae.

Die meisten Arbeiter wussten gar nicht, dass es Arbeitsgesetze gab. Dann brachte Tae-il eines Tages ein Buch über Arbeitsgesetze mit und erklärte uns, dass diese Gesetze Arbeiter wie uns beschützten. Er sagte, dass wir nur deshalb so lang und hart arbeiten mussten und deshalb krank wurden, weil diese Gesetze nicht eingehalten werden.

Gegen Ende Juni 1969 trafen sich zehn Arbeiter vom Pyeonghwa-Markt in einem chinesischen Restaurant in der Nähe des Deoksu-Palastes. Es handelte sich dabei um die Mitglieder der sogenannten Dummen-Gruppe. Herr Kim Yeong-mun war Mitglied in dieser Gruppe.

In der Dummen-Gruppe traf ich mich mit einigen Freunden, die die gleichen Ansichten über das Schicksal der Arbeiter und die schrecklichen Arbeitsbedingungen hatten wie ich. Wir trafen uns nicht deswegen, um eine Arbeiterbewegung ins Leben zu rufen. Eigentlich war es nur ein geselliges Beisammensein. Aber dann fingen wir an, über die Arbeitsbedingungen zu reden und lasen alte Bücher über die Arbeiterbewegung und Arbeitsgesetze. Uns gefielen die Ideen und so trafen wir uns oft und tauschten uns darüber aus.

Jeon studierte die Arbeitsgesetze und führte eine Bewegung an, um die Arbeitsbedingungen in Korea zu verbessern. Doch die Arbeitgeber im Markt erfuhren von der Dummen-Gruppe und Jeon als ihr Wortführer wurde gefeuert. Nach seinem Rauswurf aus der Näherei arbeitete er als Hilfsarbeiter auf Baustellen, doch ein Jahr später, im September 1970, wurde er bei einer anderen Näherei im Pyeonghwa-Markt erneut als Schneider eingestellt. Er rief die ehemaligen Mitglieder der Dummen-Gruppe wieder zusammen und fand 12 weitere Näher und Schneider, um die Arbeitsbedingungen rund um den Cheonggye-Bach zu untersuchen und eine Petition an die damalige Arbeitsverwaltung zu richten. Die Petition erzielte viel Aufmerksamkeit bei Medien und in der Öffentlichkeit, doch für die Arbeiter im Pyeonghwa-Markt änderte sich nichts. Herr Kim Yeong-mun erklärt dazu:

Wir hatten zwei Petitionen und trafen uns mit den Verantwortlichen am Pyeonghwa-Markt, um Forderungen über Verbesserungen am Arbeitsplatz zu stellen. Aber sie hielten ihre Versprechen nicht ein und die Situation änderte sich kein bisschen. Tae-il war ganz beunruhigt und hat oft gesagt, dass jemand erst sterben müsse, damit sich die Situation verbessert. Ich hätte aber nie gedacht, dass er der Tote sein würde.

Durch die mangelhaften Änderungsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung und ihrer Arbeitgeber frustriert griff er zur letzten Möglichkeit: die Verbrennung des Arbeitsgesetzes. Am 13. November zündete Jeon Tae-il erst das Gesetzbuch an und dann sich selbst. Der Feuertod des jungen Arbeiters war ein Schock für die ganze Nation. Hier ist der Philosophie-Professor Hong Yoon-ki von der Dongguk-Universität in Seoul:

Wir hatten vier Forderungen: Einhaltung des Arbeitsgesetzes, Arbeiter sind keine Maschinen, Sonntag sei Ruhetag und keine Überlastung der Arbeiter. Tae-il bat uns darum, dass sein Tod nicht umsonst sei. Am meisten betrübte mich, dass die koreanische Wirtschaft zu der Zeit schnell wuchs, aber die Regierung kümmerte sich nicht genug um den kleinen Wunsch eines Arbeiters, und er war gezwungen, sich sein eigenes Leben zu nehmen. Das hat die Öffentlichkeit völlig schockiert.


Jeons Mutter und seine Kollegen respektierten seinen Wunsch und starteten am 27. November die Cheonggye-Schneidergewerkschaft, die die Gesellschaft verändern sollte. Der Tod Jeon Tae-ils rüttelte die Koreaner auf, die Übel des raschen Wirtschaftswachstums nicht länger zu ignorieren, und spielte eine wichtige Rolle für die Arbeiterbewegung in Korea. Die Selbstverbrennung Jeon Tae-ils im Jahr 1970 wird noch lange als Anfang und Symbol der koreanischen Arbeiterbewegung in Erinnerung bleiben.

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