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Geschichte

Koreas Babyboomer und die Industrialisierung

2015-03-10

Koreas Babyboomer und die Industrialisierung
Mitte der 1950er Jahre fand Korea die seit dem Koreakrieg verlorene Stabilität langsam aber sicher endlich wieder. Doch die Nation stand vor einem schwer wiegenden sozialen Problem. Zwischen 1955 und 1963 wurden über 7,12 Millionen neue Babys geboren, es war die Generation der Babyboomer. Die koreanische Bevölkerung explodierte in diesem Zeitraum, der jährliche Bevölkerungszuwachs betrug 3 Prozent; außerdem drängten Flüchtlinge aus Nordkorea und Rückkehrer aus Übersee in das Land.

Die Regierung glaubte, dass solch ein rasches Bevölkerungswachstum wirtschaftliche Entwicklungen untergrabe. Folglich wurde die Familienplanung in den ersten Fünfjahreswirtschaftsentwicklungsplan als Aufgabe der Politik aufgenommen und von der Geburt eines Kindes wurde stark abgeraten. Traditionell hatten Koreanische Familien viele Kinder. In einer konfuzianischen Gesellschaft wie Korea bedeuteten Kinder die Erfüllung familiärer Pflichten gegenüber der älteren Generation, und eine reiche Kinderschar galt als großer Segen.

Dies war das Männerquartett Blue Bells mit ihrem Lied „Ein frohes Fest". Der Text spricht davon, dass ein Kind eine Gelegenheit für die Familie und für das ganze Dorf darstelle, ein großes Fest zu feiern. Laut Statistik belief sich die zusammengefasste Geburtenziffer in Korea von 1955 bis 1963 auf 6,1 durchschnittlich, was bedeutet, dass eine Frau im Durchschnitt sechs Kinder hatte. Es ist weltweit durchaus üblich, dass die Geburtenrate nach einem Krieg stark ansteigt, wie uns Professor Song Yang-min vom Graduiertenkolleg für professionelle Therapie an der Gachon-Universität erklärt.

Die Steigerung der Geburtenrate in den Nachkriegsjahren ist ein globales Phänomen. Nach dem Koreakrieg kamen Liebespaare wieder zusammen, gründeten Familien und bekamen natürlich Kinder, was die Geburtenrate in die Höhe trieb. In den frühen 1950er Jahren wurden rund 400.000 neue Babys in einem Jahr geboren. Doch nach dem Krieg wurden in den neun Jahren seit 1955 rund 700.000 und bis zu 880.000 Geburten jährlich registriert. Diese Babys wurden die Babyboom-Generation genannt.

Wer in dieser Zeit geboren wurde, war von Anfang an dem Wettbewerb ausgesetzt. Es war normal für diese Kinder, mit ihren vielen Geschwistern um knappe Ressourcen wie Nahrung und Platz zu kämpfen, so erinnert sich Frau Yang Seong-hee, die 1958 geboren wurde.

Es gab sechs Kinder in meiner Familie, zwei Jungen und vier Mädchen. Aber wir galten damals nicht als eine große Familie. Die meisten meiner Geschwister waren nur ein oder zwei Jahre auseinander geboren. Also gingen alle sechs von uns zusammen zur Schule. Es war jeden Tag wie Krieg. Wenn es regnete, bekam derjenige, der zuerst das Haus verließ, den besten Regenschirm, denn es gab damals nicht so viele Schirme. Der letzte musste entweder ohne Schirm zur Schule gehen oder mit einem kaputten Papierschirm. Die Schuluniformen mussten die Jüngeren von den Älteren auftragen, und genauso wurden Schultaschen, Schulbücher und anderes Schulmaterial immer wieder benutzt.

Im Jahr 1958 überstieg die Anzahl der Geburten zum ersten Mal in der koreanischen Geschichte 800.000 innerhalb eines Jahres. Die in diesem Jahr des Hundes Geboren stehen stellvertretend für die gesamte Babyboom-Generation. Laut Herrn Hong Young-Min, der vor 27 Jahren in die USA ausgewandert ist, gibt es auch in der koreanisch-amerikanischen Gemeinde viele, die im Jahr 1958 geboren sind.

Ich lebe heute in den USA. Wir sind eine ganze Gruppe von Freunden, die im Jahr 1958 geboren wurden. Es gibt viele Menschen, die im Jahr des Hundes geboren sind, aber die von 1958 gelten als etwas Besonderes. Es müssen unzählige Menschen im Jahr 1958 geboren sein, denn es gibt sogar eine Gedichtsammlung mit dem Titel „Menschen geboren im Jahr des Hundes 1958“.

Die dank des Babybooms schnell wachsende Bevölkerung bereitete der koreanischen Regierung große Sorgen. Als die geburtenstarken Jahrgänge in die Schule kamen, gab es gar nicht genügend Schulen und Schulklassen, um sie alle unterzubringen. Die folgende Aufnahme ist aus einer staatlich produzierten Nachrichtensendung von 1965.

Die Regierung tut für die jährlich steigende Anzahl von Kindern im schulpflichtigen Alter alles, was in ihrer Macht steht. In diesem Jahr greift die Regierung auf staatliche Fonds zurück, um 2.500 neue Klassenzimmer zu bauen. Doch die Zahl der schulpflichtigen Kinder beträgt in diesem Jahr fast fünf Millionen, rund 258.000 mehr als im Vorjahr. Um sie alle aufzunehmen, bedarf es mindestens 77.900 Klassenzimmer, aber es gibt derzeit nur rund 58.500 Klassenzimmer, also 19.400 Räume zu wenig.

Um alle Schüler aufnehmen, fand der Unterricht in zwei Gruppen statt: in Vormittags- und Nachmittagsklassen. In manchen Gebieten waren die Bedingungen so schlecht, dass die Schüler in drei Gruppen unterteilt wurden, die sich ein Klassenzimmer teilten. Hong Kyung-min erinnert sich folgendermaßen an seine Schulzeit.

Als ich in der Grundschule war, gab es fast 70 Schüler pro Klasse und bis zu 15 Klassen pro Jahrgang. Einige Schulen hatten sogar noch mehr. Die Schüler in den unteren Klassen wurden in Morgen- und Nachmittagsunterricht eingeteilt, und jeder Klassenraum war vollgestopft mit Kindern. Wenn ein neuer Schüler von einer anderen Schule kam, konnte man keinen weiteren Stuhl oder Schreibtisch für ihn dazusetzen. Es war normal, wenn es zu wenig Tische und Stühle gab.

Angesichts knapper Nahrungsressourcen nach dem Koreakrieg versuchte die Regierung verzweifelt, das Bevölkerungswachstum aufzuhalten, damit sich die Wirtschaft entwickeln konnte. Als Ergebnis erklärte die koreanische Regierung im Jahr 1962 ein Familienplanungsprojekt zur nationalen Aufgabe. Professor Song Yang-min vom Graduiertenkolleg für professionelle Therapie an der Universität Gachon erzählt uns mehr über diesen Regierungsplan.

Zu der Zeit wurde das Konzept des Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukts verwendet, um das Wirtschaftswachstum zu erklären. Das BIP pro Kopf wird berechnet, indem das Bruttoinlandsprodukt des Landes durch die Anzahl der Bevölkerung geteilt wird. Daher dachte die Regierung, dass sich die BIP-Werte und somit der allgemeine Lebensstandard verbesserten, wenn die Bevölkerung verringert werden könnte. Die Regierung glaubte, dass eine Geburtenkontrolle durchgesetzt werden müsse, um die Armut zu beseitigen. Auch gab es nicht genug zu essen, sodass die Regierung die Geburtenkontrollpolitik aktiv verfolgte.

Das Ziel der Regierung war es, bis 1971 die Bevölkerungswachstumsrate auf 2 Prozent und die zusammengefasste Geburtenziffer auf 3,0 zu senken. Daraufhin wurde der Koreanische Verband für Familienplanung gegründet und Experten für Familienplanung wurden in ländliche Gebiete geschickt, um die Menschen über Geburtenkontrolle aufzuklären. Außerdem wurden Gynäkologen dazu ermutigt, sich am Geburtenkontrollprojekt zu beteiligen. Hier ist erneut Professor Song Yang-min.

Die Regierung schickte Ärzte aufs Land, um das Bewusstsein der Menschen über Geburtenkontrolle zu erhöhen und Sterilisierungen bei Männern und Frauen durchzuführen. Eine Mitschrift eines Arztes zeigt, dass Frauen zu einem Auditorium eingeladen und auf die Notwendigkeit der Geburtenkontrolle hingewiesen wurden. Und dann führte der Arzt an einem einzigen Tag an 30 bis 40 Hausfrauen mittleren Alters Operationen durch. Männer wurden vom wochenlangen Reservistentraining befreit, wenn sie sich sterilisieren ließen. Männer wie Frauen nahmen mit Begeisterung an der Regierungskampagne teil.

Die öffentlichen Plätze in den Städten und auf dem Land wurden mit Plakaten voller Slogans gegen die Geburt gepflastert. In Kinos und an anderen Orten, wo viele Menschen sich versammelten, wurden Werbefilme für Familienplanung gezeigt, um das so genannte „3-3-35-Prinzip“ zu fördern. Die 3-3-35-Bewegung forderte die Menschen dazu auf, nur drei Kinder im Abstand von jeweils drei Jahren zu haben, bevor sie 35 waren. Es war eine öffentliche Kampagne, die von der Regierung ins Leben gerufen worden war, um die Geburtenziffer zu senken. Doch einige Koreaner protestierten in der frühen Phasen der Bewegung gegen diese Regierungspolitik. In den ländlichen Gebieten, wo die Geburtenrate höher war als in den Städten, wurden die Familienplanungsexperten von den Schwiegervätern fortgejagt, wenn sie den jungen Frauen Geburtenkontrolle empfahlen.

Die meisten Hausfrauen, die auf dem Land an den Vorträgen über Familienplanung teilnahmen, waren bereits Mütter. Sie erhielten von der Regierung eine Belohnung, wenn sie sich sterilisieren ließen. Die aggressive landesweite Kampagne führte schließlich zu den gewünschten Resultaten. Die zusammengefasste Geburtenziffer, die in den frühen 1960ern bei 6,1 stand, sank 1966 auf 5,4 und bis 1970 auf 4,3. Zeitgleich verlor sich allmählich der Wunsch der Koreaner nach einem reichen Kindersegen.

Die Babyboom-Generation, die 14,5 Prozent der gesamten koreanischen Bevölkerung umfasst, hat die demografische Landschaft der Nation verändert. Seit den erzwungenen Familienplanungsmaßnahmen der Regierung sinkt die Geburtenrate in Korea. Dennoch spielen diese Babyboomer durchaus eine besondere Rolle in der koreanischen Gesellschaft, sagt Professor Song Yang-min von der Gachon-Universität.

Die beiden Richtlinien, auf die die Park Chung-hee-Regierung ständig drängte, waren die wirtschaftliche Entwicklung und Geburtenkontrolle. Während jedoch die Nachkriegsgeneration die Grundlagen für das wirtschaftliche Wachstum legte, waren es die Babyboomer, die in den Industrieanlagen schufteten und für den Wohlstand des Landes sorgten. Die Babyboom-Generation hat sich große Verdienste um das Wirtschaftswachstum Koreas erworben, zuerst als hart arbeitende Erwerbstätige bis in die 1970er und dann als Hauptkonsumenten seit den 1980er Jahren. Die koreanische Wirtschaft ist bekanntermaßen stark auf den Export angewiesen. Es waren die Babyboomer, die die ganzen Waren in den 1960er, 70er, und 80er Jahren in den Fabriken herstellten und exportierten. Als das Einkommen und der Lebensstandard der Koreaner anstieg, kauften Babyboomer Häuser und Autos und kurbelten den Wirtschaftskreislauf an. Ihre aktive Teilnahme an Produktion und Konsum wirkte sich direkt auf Koreas Wirtschaftswachstum aus.

Die Babyboom-Generation war der Hauptakteur der koreanischen Industrialisierung. Unter den Ländern, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Unabhängigkeit gewannen, ist Korea das einzige Land, dem sowohl eine erfolgreiche Industrialisierung als auch die Demokratisierung gelang. Das verlief natürlich nicht ganz ohne Schwierigkeiten, doch Koreas Babyboomer hatten zweifellos einen großen Einfluss auf die so erstaunlichen wirtschaftlichen Leistungen. Es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen, dass die Geschichte der Babyboomer die moderne Geschichte Koreas repräsentiert. Aus diesem Grund sind Yang Seong-hee und Hong Young-min, die beide im Jahre 1958 geboren wurden, besonders stolz auf ihren Platz in der koreanischen Geschichte.

Yang: Ich bin wirklich stolz, weil unsere Generation Not erlitten und überwunden hat. Ich glaube, wir sind die Generation mit einer starken Immunität gegen das Scheitern und einer großen Fähigkeit zur Selbsterhaltung. Wenn wir unsere Rolle als Wegbereiter nicht gespielt hätten, wäre die koreanische Wirtschaft von heute möglich? Das ist der Grund, warum ich so stolz auf mich bin.
Hong: Wir sind in der schwierigsten Zeit geboren worden. Aber diejenigen, die 1958 geboren wurden, arbeiteten hart und fühlten sich für ihr Leben verantwortlich. Als hart arbeitende Generation haben wir einen gewissen Stolz und ein besonderes Selbstwertgefühl. Ich glaube, dass sich die Geschichte noch lang an unsere Generation erinnern wird.

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