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Geschichte

Die frühe Blüte der Demokratie

2015-02-17

Die frühe Blüte der Demokratie
Ich muss jetzt gehen, ohne dich noch einmal gesehen zu haben, denn ich habe keine Zeit mehr. Ich werde gegen die illegale Wahl bis zum Ende kämpfen. Meine Freunde und ich sowie alle Schüler und Studenten in Korea lassen jetzt ihr Blut für die Demokratie. Mutter, tadel mich nicht dafür, dass ich zu den Demonstrationen gehe. Wenn wir es nicht täten, wer dann? Ich weiß, dass ich noch nicht erwachsen bin, aber ich kenne schon den richtigen Weg für die Menschen und das Land. Ich werde mit meinem Leben dafür kämpfen. Du bist jetzt sicher voller Kummer aus Liebe zu mir, doch freu dich auf die Zukunft und die Freiheit unseres Volkes.

Diesen Brief schrieb Jin Young-sook (진영숙), Schülerin der zweiten Klasse an der Hanseong-Mittelschule, am 19. April 1960 an ihre Mutter; sie kam nie wieder zurück nach Hause. Die Selbstaufopferung von Young-sook und vieler anderer Schüler und Studenten sowie normaler Bürger und Bürgerinnen markierte den Beginn von Koreas Weg zur Demokratie.

Zu Beginn des Jahres 1960 war alle Aufmerksamkeit auf die Wahlen am 15. März gerichtet, in denen der Präsident des Landes zum vierten Mal und der Vizepräsident zum fünften Mal gewählt wurden. Nach der Wahl entpuppten sich Rhee Syng-man und sein Schützling Lee Ki-poong (이기붕) von der regierenden Freiheitspartei als Sieger über Cho Pyong-ok (조병옥) und Chang Myon (장면) von der Demokratischen Partei. Dazu hatte die Rhee-Regierung versucht, Wähler zurückzugewinnen, die sich während seiner zwölfjährigen, mit eiserner Faust geführten und durch Korruption erschütterten Herrschaft von ihm abgewandt hatten. Die oppositionelle Demokratische Partei hatte den Menschen versprochen, alles zu ändern. Doch genau einen Monat vor der Wahl starb der Oppositionsführer Cho Pyong-ok am 15. Februar 1960 nach einem Herzinfarkt. Ein Gegenkandidat war somit aus dem Weg und die Aufmerksamkeit konzentrierte sich nun auf den Kampf um den Vizepräsidenten. Dies war eine wichtige Position, denn sollte dem mittlerweile 85-jährigen Präsidenten Rhee etwas zustoßen, würde das Präsidentenamt auf den Vizepräsidenten übergehen.

Doch die Leute waren sehr unzufrieden mit Rhees langem, tyrannischem Festhalten an der Macht und der grassierenden Korruption in seiner Regierung, den sinkenden Hilfen aus den USA und der steigenden Arbeitslosigkeit. Derart an die Wand gedrängt griff die Freiheitspartei zu solch unehrlichen Methoden wie der Hinzufügung bereits verstorbener Personen in die Wählerlisten und dem Kauf von Wählerstimmen. Dann kam die Wahl.

Rhee Syng-man wurde mit 86 Prozent erneut zum Präsidenten gewählt und Lee Ki-poong erhielt 74,5 Prozent der Stimmen zur Wahl des Vizepräsidenten. Es war ein Erdrutschsieg für die Freiheitspartei. Doch die meisten Koreaner akzeptierten die unsauberen Wahlergebnisse nicht und gingen auf die Straße, um gegen die manipulierte Wahl zu protestieren.

Die ersten Proteste fanden in Masan statt, einer Hochburg der Opposition in der Provinz Süd-Gyeongsang. Am Abend des Wahltags am 15. März stürmten die Leute um 18.30 Uhr die Stadthalle, wo die Stimmenzählung noch im Gange war. Offensichtlich hatten sie von den illegalen Maßnahmen erfahren, die sogar noch während der Zählung stattfanden. Mit Rufen wie „Ungültige Wahl!“ und „Wiederwahl“ trafen sie auf Polizisten, die mit Tränengas und scharfen Geschossen bewaffnet waren. Bei der Schießerei allein im Masan-Gebiet kamen sieben Oberschüler und zwei Erwachsene ums Leben und es gab rund 870 Verletzte.

Seit jenem Tag ging die Regierung hart gegen jeden vor, der gegen die gefälschten Wahlen aufbegehrte, und es sah so aus, als ob die Öffentlichkeit zum Schweigen gebracht worden wäre. Doch dann kam es am 11. April zu einem Ereignis, das die Situation schlagartig änderte. In den Gewässern vor Masan trieb eine Leiche, der ein Tränengasgeschoss noch im Auge steckte. Der grausam zugerichtete Körper gehörte dem siebzehnjährigen Schüler Kim Ju-yul (김주열), der seit den Protesten 27 Tage zuvor verschwunden war. Andere Schüler, die ihren toten Mitschüler gesehen hatten, weigerten sich, zur Schule zu gehen und gingen stattdessen auf die Straße, wobei sich ihnen wütende Einwohner Masans anschlossen. Das stachelte die öffentliche Meinung weiter an, was schließlich zur Revolution am 19. April führte.

Zunächst sprang der Aufruhr am 18. April nach Seoul über. Schüler verlasen eine Erklärung zur Verurteilung der Rhee-Regierung und hielten einen friedlichen Marsch ab, doch auf dem Weg zurück in die Schule wurden sie von Schlägern angegriffen, die von der Regierung angeheuert worden waren. Dieser Vorfall brachte die Bevölkerung vollständig gegen das Regime von Rhee Syng-man auf.

Angeführt von Universitätsstudenten waren die Straßen Seouls am 19. April seit den frühen Morgenstunden von den wütenden Rufen der Demonstranten erfüllt. Ähnliche Proteste flammten in Busan, Daegu, Gwangju, Daejeon und anderen großen Städten im ganzen Land auf. Dabei schlossen sich den Universitätsstudenten junge Mittel- und Oberschüler, Büroangestellte in Krawatten und Anzügen und sogar Mütter, die ihre Babys auf dem Rücken trugen, an. Am Nachmittag marschierten die Demonstranten in Richtung der Präsidentenresidenz von Gyeongmudae (경무대). Lee Young-min, Generalsekretär der Gesellschaft der bürgerlichen Revolution am 19. April, erinnert sich folgendermaßen an den Vorfall.

Ich war zu der Zeit Abiturient. Schüler- und Studentendemonstration bedeutete marschieren und Parolen rufen. Die Studenten verlangten vor dem alten Gebäude des Innenministeriums in Myeongdong lautstark eine Wiederwahl. Als sie keine Antwort bekamen, zogen sie zum Obersten Gericht in Seosomun (서소문) und forderten die Richter auf, die Wahl vom 15. März für ungültig zu erklären. Aber niemand interessierte sich wirklich dafür. So beschlossen die Studenten, in Richtung Gyeongmudae zu ziehen, und dort stießen sie auf Polizisten, die ihre Waffen auf sie richteten. Aber die Studenten hatten keine Angst.

Gyeongmudae war das ultimative Ziel der Demonstranten und die letzte Verteidigungslinie der Polizei. Doch dann geschah etwas Unerwartetes.

Die Studenten warfen Steine auf anwesende Feuerwehrleute, die aus ihren Feuerwehrwagen flüchteten. Ein Student kletterte auf einen Feuerwehrwagen und schaltete die Zündung ein. Dann sprangen andere Studenten auf den LKW, der sich in Richtung Präsidentenresidenz in Bewegung setzte. In dem Moment fing die Schießerei an. Die Studenten auf dem Feuerwehrwagen waren die ersten, die getroffen wurden.

Die Polizei eröffnete das Feuer auf die Demonstranten, als diese sich der Polizeilinie näherten. Die folgende Erinnerung stammt von Park Jong-gu (박종구), stellvertretender Direktor der Bibliothek zur Erinnerung an die Revolution vom 19. April.

Wir waren an der Front, die Schülerinnen und Schülern waren hinter uns. Es gab keine Ordnung in den Reihen. Wir wurden einfach nach vorne geschoben. Wenn jemand niedergeschossen wurde und hinfiel, rückten die Leute dahinter nach vorn auf. Ich sah, wie direkt vor mir ein älterer Schüler aus meiner Schule erschossen wurde. Er war sofort tot.

Mehr als 180 Menschen wurden bei der Schießerei getötet und rund 6.000 verletzt. Präsident Rhee versucht, den Aufstand durch die Ausrufung des Kriegsrechts über die Demonstrationsgebiete zu stoppen. Aber der Funke der Revolution konnte nicht mehr so leicht gelöscht werden. Hochschulprofessoren kündigte eine Erklärung an, in der sie ihr Bedauern über den aktuellen Stand der Dinge aussprachen, und führten den Aufstand am 25. April an. Der ehemalige Professor Chung Bum-mo (정범모) von der Staatlichen Universität Seoul teilt uns mit, warum die Professoren sich mit den Demonstranten verbündeten.

Ich hatte erfahren, dass einer meiner Studenten erschossen und getötet wurde. Worte können nicht ausdrücken, wie ich mich damals fühlte. Ältere Professoren erklärten sich bereit, vorn zu stehen und wiesen jüngere an, nach hinten zu gehen. Sie sagten, sie hätten lange genug gelebt und waren bereit, zuerst sterben. So waren die älteren Professoren ganz vorn an der Front.

Die Leute begrüßten die mutigen Professoren mit lautem Jubel und Applaus. Der Protest ging bis zum nächsten Tag weiter, trotz der schweren Überwachung durch das Kriegsrecht. Sogar Grundschüler schlossen sich am 26. April den Demonstrationen an.

Ein Kind von der Susong-Grundschule in Seoul war am 19. April durch Polizeibeschuss getötet worden. Seine Klassenkameraden gingen hinaus auf die Straßen und trugen Schilder, um die Soldaten darum zu bitten, damit aufzuhören, auf ihre Eltern und Geschwister zu schießen. Inmitten der Wut und der Verwirrung, die die ganze Nation in Atem hielt, baten Vertreter der Studenten und Bürger den Präsidenten zu einer Unterredung. Bald darauf erreichte sie die Nachricht, dass der Präsident sich dazu entschlossen hatte, zurückzutreten.

Liebe Demonstranten, es hat lange gedauert, doch die Demokratie scheint wieder zurückgekehrt zu sein. Bitte verlasst die Panzer, beendet die Sit-ins und geht zurück nach Hause. Vielen Dank!

Präsident Rhee Syngman verkündete seinen Rücktritt schließlich am 26. April. Unter dem Jubel des koreanischen Volkes ging die 12-jährige Regierungszeit von Syngman Rhee zu Ende. Die von Studenten angeführte Revolution am 19. April, ein gewaltloser bürgerlicher Aufstand, wurde zu einem Meilenstein der Nation auf ihrem Weg zur Demokratie. Hier ist die Einschätzung dieser Revolution von Hong Seuk-ryule (홍석률), Professor für Geschichte an der Sungshin-Frauenuniversität.

Der 19. April Revolution inspirierte die Dynamik der koreanischen Gesellschaft. Nach den Erfahrungen der Aprilrevolution waren die Koreaner in der Lage, Widerstand auszuüben und ihre Meinung auszudrücken, wenn sie Ungerechtigkeit spürten, und es verleitete die Gesellschaft zu dynamischeren Entwicklungen. Niemand wusste vorher, ob es genug bürgerliche Kräfte gab, um den Gründungspräsidenten Rhee Syngman von der Macht zu entfernen. Doch als sich die Bürger erhoben, war ihre Macht explosiver, als es sich irgendjemand vorgestellt hatte. Die Revolution vom 19. April zeigte die grundsätzliche, schlummernde Kraft der Koreaner, die stark genug ist, um die Gesellschaft zu verändern.

Die Aprilrevolution war das Resultat der unerbittlichen Entschlossenheit der Koreaner, die Demokratie zu schützen und gegen Ungerechtigkeit und Korruption zu kämpfen. Jene Leidenschaft für Demokratie kann noch in der Stimme von Lee Young-min, dem Generalsekretär der Gesellschaft der bürgerlichen Revolution am 19. April, gespürt werden, wenn er die Inschrift am Erinnerungsturm der April-Revolution vorliest.

Am 19. April 1960 bewies die Geschichte, dass die Tradition des Blutes und die Bereitschaft, mit dem eigenen Leben für die Gerechtigkeit einzustehen, noch in den Adern der jungen Menschen dieses Landes strömen. Zehntausende von Schülern und Studenten haben das Rad der Geschichte im Kampf gegen Ungerechtigkeit und Korruption mit ihrem aufrichtigen Geist in Schwung gehalten, und 185 jungen Seelen, die ihr Blut auf dem Altar der Demokratie vergossen haben, wurden zu Schutzheiligen des Volkes. In jedem April werden wir in den Rufen der Eulen das Echo ihres verzweifelten Flehens hören und so, wie die Azaleen den Frühling einläuten, wird ihr Freiheitsgeist erneut in den Herzen des koreanischen Volkes aufblühen.

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