Zum Menü Zum Inhalt
Go Top

Geschichte

Das Bildungssystem als Grundlage für die Weiterentwicklung

2015-02-10

Das Bildungssystem als Grundlage für die Weiterentwicklung
Im Jahr 1957 wurde in Radio und Fernsehen überall von den Erfolgen der Abschlussklassen berichtet, und am wichtigsten waren damals die Abschlüsse der Grundschüler. Diese Schüler und Schülerinnen sind 1951 eingeschult worden, mitten im Koreakrieg, und mussten ihre sechsjährige Grundschulzeit zwischen all dem Trubel und den Veränderungen um sie herum absolvieren.

In einem Land mit nur wenigen natürlichen Ressourcen stellen das Können und die Fähigkeiten der Menschen die einzige verlässliche Basis für die Zukunft dar. Die Koreaner glaubten, dass Unwissenheit die Ursache aller Tragödien gewesen sei, von der Kolonialherrschaft bis zum Koreakrieg, und so bereiteten sie sich mit einer bisher nicht gekannten Begeisterung nach Bildung auf die kommenden Herausforderungen vor.

Nach der Regierungsbildung im Jahre 1948 kam es zu einer Bildungsreform in Korea. Angetrieben von dem allgemein verbreiteten Glauben, dass eine gute Ausbildung die Grundlage für nationalen Wohlstand darstelle, verabschiedete die Regierung 1949 ein Schulgesetz. Der damalige Bildungsminister Oh Chun-suk (오천석) erzählt uns mehr über die Zeit damals, als das Schulgesetz gerade erlassen wurde.

Das koreanische Schulgesetz ist offiziell am 31. Dezember 1949 verabschiedet worden, doch es beruht auf Grundlagen aus der Zeit der amerikanischen Militärregierung. Das koreanische Schulsystem war damals mit zwei Herausforderungen konfrontiert: Die erste bestand darin, die Kinder überhaupt in die Schule zu bringen, und die zweite war der Mangel an koreanischen Lehrbüchern, die ja alle auf Japanisch gewesen waren. Es war sehr wichtig, sich über die Philosophie, das System und die Institutionen der Bildung Gedanken zu machen, als wir ein neues Bildungskonzept für das neue Land entwarfen. Also wurde ein Planungs- und Prüfungsgremium aus Bildungsexperten und Regierungsbeamten gebildet. Rund einhundert Leute hielten 120 Sitzungen ab und präsentierten ihre Ergebnisse der amerikanischen Militärführung. Diese Ergebnisse bildeten die Grundlage für das Schulgesetz, das dann am 31. Dezember 1949 verkündet wurde.

Den Angaben einer Erhebung aus dem Jahr 1945 zufolge betrug die Analphabetenrate unter den über Zwölfjährigen kurz nach Koreas Befreiung 77,8 Prozent. Das bedeutete, dass acht von zehn erwachsenen Koreanern Hangeul, das koreanische Alphabet, nicht lesen oder schreiben konnten. Ältere Koreaner, denen es wegen der japanischen Kolonialherrschaft verwehrt worden war, die koreanische Sprache lesen und schreiben zu lernen, wollten, dass ihre Kinder die eigene Sprache und Schrift der Koreaner lernen. Der auffälligste Bestandteil des neuen Schulgesetzes war daher der obligatorische Grundschulbesuch. Das Gesetz bestand aus elf Kapiteln und 173 Bestimmungen und beschrieb den Zweck der Bildung in Korea wie folgt:

Die Ziele der Bildung bestehen darin, allen Menschen zu ermöglichen, ihre Persönlichkeit zu vervollständigen und unabhängige Fähigkeiten zu erwerben, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und sich als Bürger einbringen können, um zur Weiterentwicklung des Landes beizutragen und in Erfüllung universeller Ideale. Jeder Bürger Koreas hat das Recht auf sechs Jahre Grundschule und drei Jahre Sekundarstufe. Allerdings sollte der vorgesehene Besuch der Sekundarstufe in mehreren Phasen durchgeführt werden. Jeder koreanische Bürger ist dazu verpflichtet, seinen ihm anvertrauten Kindern die vorgesehene Bildung zu ermöglichen. Der Staat muss die Schulpflicht durchsetzen. Die zentralen und lokalen Regierungsstellen sollen Schuleinrichtungen verschiedener Art gleichmäßig über die Regionen verteilen und eine derartige Bildungspolitik betreiben, die zur Aufklärung der Allgemeinheit sowie zur Bildung derjenigen, die die vorgesehene Schulausbildung nicht erhalten haben, beiträgt

Der verbindliche Schulbesuch begann am 1. Juni 1950. Dieser Tag wurde im ganzen Land gefeiert, wie uns Professor Lee Gil-sang (이길상) von der Akademie für Koreastudien erklärt:

Die Einführung des obligatorischen Schulbesuchs löste bei den Leuten die Vorstellung aus, dass Bildung eine Pflicht sowie ein Recht ist. Angesichts der Erfahrung der zwei einschneidenden Ereignisse Unabhängigkeit und Regierungsbildung musste den Leuten klar sein, dass Bildung das größte Geschenk war, das sie bekommen konnten.

Auch das koreanische Schulsystem wurde neu organisiert. Das bisherige Schulsystem sah acht Jahre Grundschule und fünf Jahre Sekundarstufe vor, bevor man eine Universität besuchen konnte. Dies wurde nun durch ein 6-3-3-System ersetzt: sechs Jahre Grundschule, drei Jahre Mittelschule und drei Jahre Oberschule bis zur Hochschulreife.

Doch dann kam die Katastrophe namens Koreakrieg über die Halbinsel, noch bevor das Schulgesetz voll zur Entfaltung kam. Die Menschen flohen vor dem Krieg, doch Ihr Drang, etwas zu lernen, konnte ihnen auch nicht von den Bomben ausgetrieben werden. Um die Kinder der Kriegsflüchtlinge zu unterrichten, wurden Notschulen eingerichtet. Manch ein Schüler musste im Freien lernen, auf dem Schulhof oder dem Dorfplatz. Chae Gwi-jin (채귀진) aus Gangjin in der Provinz Nord-Jeolla ist heute 75 Jahre alt und erinnert sich an seine Schulzeit:

Ich kann es gar nicht richtig beschreiben. Ein Feuer hatte unsere Schule zerstört. Also mussten wir irgend einen Ort suchen, wo viele Leute Platz hatten, wie das Gemeindezentrum oder unter einem großen Baum. Die Lehrbücher hatten wir von älteren Schülern bekommen. Damals gab es ein Lied bei der Abschlussfeier, das davon handelte, wie kleine Kinder mit bereits benutzten Büchern lernen mussten.

Die Notschulen mitten im Kriegsgewirr waren selbst für Ausländer, die Korea damals besuchten, ein ungewohnter Anblick. Ein Nachrichtenartikel aus der New York Times vom 8. Juni 1951 von Greg MacGreggor beschreibt die erstaunlichen Einrichtungen:

Wie man es von einem kriegserschütterten Land erwarten kann, stellt der Mangel an Lehrbüchern ein ernsthaftes Problem dar. Doch überall im Land sitzen Gruppen von Schülern und Schülerinnen unter Bäumen mit vielleicht einer einzigen Tafel, die an einem Baum festgenagelt ist, und schauen gemeinsam in die zerrissenen Seiten der zusammengehefteten Bücher. Jeweils sechs bis acht Schüler teilen sich ein Buch und tauschen es untereinander aus, um darin zu lernen, während der Lehrer, oft in Lumpen gekleidet, Anweisungen und Erklärungen mit einem Zeigestock erteilt, den er von einem tief hängenden Zweig über seinem Kopf abgebrochen hat.
Progressive Mitglieder der südkoreanischen Regierung erkennen, dass die Zukunft des Landes zu einem erheblichen Teil darin liegt, den Bildungsstandard zu erhöhen und die hohe Analphabetenrate zu senken, unter der das Land seit Jahrhunderten leidet. Dazu erhalten sie volle Unterstützung von den Vertretern der Vereinten Nationen.

Die ungebrochene Leidenschaft für Bildung steigerte sich nach dem Krieg weiter. Laut einer Statistik des Erziehungsministeriums von 1960 hatte sich die Anzahl der Schüler und Schülerinnen aller Klassen und Schulen, inklusive der Hochschulen, seit 1950 verdoppelt und die Zahl der Universitäten, die 1948 noch bei 42 lag, war auf 78 angestiegen.

Dies war eine Szene aus dem Film „Immergrüner Baum“ aus dem Jahr 1960. Der Film basierte auf einem gleichnamigen Roman von Shim Hun (심훈). Dort gibt es eine Stelle, wo Universitätsstudenten in ländlichen Gebieten nachts heimlich Unterricht geben, um den Analphabetismus während der japanischen Kolonialherrschaft zu bekämpfen. Im richtigen Leben hatte es ganz ähnliche Aktionen gegeben. Die japanische Kolonialregierung hatte ein gesondertes Bildungssystem für Koreaner eingeführt, das den Anstieg der Analphabetenrate ausgelöst hatte. Ganz wie im Film bemühten sich Universitätsstudenten, Intellektuelle und die Medien darum, diesen Zustand zu bekämpfen, und nachts fand überall im Land Unterricht statt, um den Menschen beizubringen, Koreanisch zu lesen und zu schreiben. Der verstorbene koreanische Literaturwissenschaftler Huh Woong (허웅), der mehrmals Vorsitzender der Hangeul-Gesellschaft war, erinnert sich an die damalige Zeit:

Damals gab es so viele Analphabeten in den ländlichen Gebieten, die nicht einmal zur Grundschule gehen konnten. Die Grundschule war damals nicht verbindlich vorgeschrieben und nur eine handvoll Schüler konnte überhaupt eine Schule besuchen. Wir waren überzeugt davon, dass wir diejenigen, die nicht zur Schule gehen konnten, unterrichten mussten, und so haben sich viele Patrioten mit einer festen Überzeugung in einem derartigen Projekt engagiert. Dies war eine Möglichkeit, in Kontrast zur japanischen Kolonialherrschaft ein Nationalgefühl zu entwickeln. Wir betrachteten Hangeul als unser kulturelles Erbe, als ein Symbol für unser Nationalgefühl.

Nachdem das Land aus dem Griff des imperialen Japan befreit worden war, übernahm die 1948 gegründete südkoreanische Regierung das Gefühl des Nationalstolzes und startete eine engagierte Alphabetisierungskampagne. Die folgende Beschreibung stammt von Dr. Ahn Ho-sang (안호상), dem ersten Bildungsminister Koreas:

Nach der Inauguration der südkoreanischen Regierung wurde Erwachsenenbildung ein wichtiges Thema, denn nur weniger als 10 Prozent der Bevölkerung konnte lesen und schreiben. 90 Prozent der Leute waren Analphabeten. Unter diesen Umständen war es schwierig, politische, wirtschaftliche und kulturelle Maßnahmen durchzusetzen. Die erste Herausforderung bestand also darin, diese 90 Prozent der Bevölkerung darin zu unterrichten, Hangeul zu lesen und zu schreiben, sodass sie Zeitungen und Zeitschriften lesen konnten. So sind im ganzen Land Programme zur Erwachsenenbildung entstanden, nicht nur, um Hangeul lernen zu können, sondern auch für internationale Angelegenheiten und für die koreanische Geschichte.

Die Bekämpfung des Analphabetismus war in den 1950er Jahren eine der wichtigsten Aufgaben der jungen Nation. Die Bildung und Aufklärung der Allgemeinheit setzte sich bis in die 1960er Jahre fort. Das Programm zur Alphabetisierung erzeugte erstaunliche Resultate. Die Analphabetenrate fiel 1953 auf 35,1 Prozent und 1960 auf 28 Prozent. Die gewaltigen Investitionen in die Bildung zahlten sich als Grundlage für die Entwicklung der koreanischen Wirtschaft aus. Hier ist noch einmal Professor Lee Gil-sang von der Akademie für Koreastudien:

In den 1950er Jahren machte die koreanische Volkswirtschaft keine Fortschritte. Bis zum Ende der 1950er erreichte das jährliche Pro-Kopf-Einkommen nicht einmal 100 Dollar. Bildung zahlt sich erst langfristig aus, es war also sehr riskant, kurzfristig so viel in die Bildung zu investieren. Doch Korea wendete in den ganzen 1950er Jahren enorm viel Zeit, Geld und Energie für die Bildung auf, was das wirtschaftliche Wachstum des Landes in den folgenden Jahrzehnten ermöglichte.

Für den Rest der Welt war Korea in den 1950ern ein einziges Desaster ohne große Hoffnung auf Verbesserung. Doch mitten in den Ruinen stellten die Koreaner Tafeln auf und sparten an nichts, um die junge Generation auszubilden. Der Krieg hatte fast alles vernichtet, doch den starken Drang der Koreaner, etwas zu lernen, konnte er nicht auslöschen. Die Leute stellten fest, dass die Kenntnisse, die durch Bildung vermittelt worden waren, weder durch einen Krieg noch sonst wie verloren gehen. Für Koreaner bedeutete Bildung Hoffnung. Ihr Verlangen nach Bildung und Wissen, das durch diese Hoffnung geschürt wurde, trieb die Entwicklung eines Landes voran, das nur wenige natürliche Ressourcen aufweist, und half letztendlich dabei, das Wunder vom Han-Fluss zu ermöglichen.

Die Redaktion empfiehlt

Close

Diese Webseite verwendet Cookies und andere Techniken, um die Servicequalität zu verbessern. Die fortgesetzte Nutzung der Webseite gilt als Zustimmung zur Anwendung dieser Techniken und zu den Richtlinien von KBS. Mehr >