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Geschichte

Die Sehnsucht nach Freiheit und die amerikanische Kultur

2015-01-27

Die Sehnsucht nach Freiheit und die amerikanische Kultur
Am 18. April 1955 fand in der damaligen Präsidentenresidenz Gyeongmudae, dem heutigen sogenannten Blauen Haus, eine herrschaftliche Orchester- und Choraufführung statt. Der Dirigent war Ahn Eak-tai, ein klassischer Komponist, aus dessen Feder die Nationalhymne Koreas stammt. Der Komponist kam nach einer fünfundzwanzigjährigen Musikkarriere in Europa in sein Heimatland zurück und führte nun „Korea Fantasy“ auf, seine Art der Ehrerweisung für Korea. Das Musikstück „Korea Fantasy” war eine Adaption der Nationalhymne und gab den Koreanern Trost und Ermutigung in ihrem Bemühen, die Kriegsverwüstungen hinter sich zu lassen.

Am Tag nach dem Konzert war der Eingangshof des Gyeongmudae, das sowohl das Büro als auch die private Unterkunft des Präsidenten beherbergt, für die Allgemeinheit geöffnet. Es war das erste Mal seit der Verkündung der Republik Korea, dass der Präsidentensitz dem einfachen Volk zugänglich gemacht wurde. Der Ort war voller Studenten, einfachen Leuten und auch Bauern, die den ganzen Weg von ihren entlegenen Dörfern her gekommen waren, nur um zu sehen, wie der Präsident lebte.

In der koreanischen Gesellschaft kam es in Folge des Koreakriegs überall zu Veränderungen. Das Verlangen der Menschen nach individueller Freiheit wuchs und die amerikanische Kultur, die mit den amerikanischen Soldaten einströmte, löste verwirrende Entwicklungsprozesse in den traditionellen Denkweisen aus. Hier ist der Popkultur-Kritiker Kim Heon-sik:

Nach dem Koreakrieg herrschte in sozialen und kulturellen Kreisen das Chaos. Alte Traditionen wurden mit der neuen Kultur wie dem „American Way of Life“ konfrontiert und Freiheit und Individualität, die in der amerikanischen Kultur einen hohen Stellenwert besaßen, wurden bei Koreanern immer beliebter. Der Einfluss der amerikanischen Kultur verursachte in den 1950ern Konflikte mit der traditionellen koreanischen Kultur, dabei wurden neue Wertvorstellungen und Sichtweisen bei den Koreanern eingeführt.

Im Jahr 1954, nicht einmal sechs Monate nach dem Ende des Koreakriegs, brachte eine Romanserie mit dem Titel „Madame Freiheit“ die koreanische Gesellschaft in helle Aufregung. Die umstrittene Geschichte von Jung Bi-suk wurde ab dem Januar 1954 in einer Tageszeitung veröffentlicht. Der Kulturkritiker Kim Heon-sik erzählt uns mehr darüber.

Die Hauptfigur ist die Frau eines Professors, die sich auf die Suche nach einer neuen Liebe begibt. Das Problem war, dass sich die Geschichte um die schockierenden Verhaltensweisen einer verheirateten Frau mit außerehelichen Beziehungen drehte. Die Tatsache, dass solch eine unkonventionelle Geschichte in einer Zeitung veröffentlicht wurde, war ein großes kulturelles Tabu. „Madame Freiheit“ bereitete den Weg für viele darauf folgende Romane, Fernsehserien und Filme, in denen es um die sexuellen und emotionellen Bedürfnisse einer Frau und um die Institution der Ehe ging.

Die Veröffentlichung von „Madame Freiheit” löste heiße Diskussionen aus. Der erste Angriff kam vom Rechtsprofessor Hwang San-deok von der Staatlichen Universität Seoul (SNU), der in der Ausgabe vom 1. März der universitätseigenen Zeitung einen vernichtenden Artikel platzierte. Seine Kritik war wie folgt:

„Madame Freiheit” ist definitive kein Werk der Literatur. Durch die Veröffentlichung einer solchen Geschichte in einer koreanischen Zeitung wird der Geist der Jugend geschädigt und die Würde unserer Lehrinstitute und die Autorität der koreanischen Literatur, worum sich die Universitären bemühen, wird beleidigt. Dies ist eine Sünde, die zum Wohl unseres Landes und des Volkes nicht entschuldigt werden kann. „Madame Freiheit“ ist der Feind der Literatur, der Zerstörer der Literatur und ein Gegner gefährlich wie 500.000 chinesische Soldaten.

Dermaßen als Feind des Vaterlands verunglimpft konterte der Autor Jung Bi-suk am 11. März mit einem Artikel in der Zeitung „Seoul Shinmun“, in dem er die Kritik als die private Aufregung eines Professors herunterspielte, der nicht in der Lage sei, Literatur zu verstehen. Hier ist die Erinnerung des bereits lange verstorbenen Autors Jung Bi-suk an diese Ereignisse in seinen eigenen Worten:

Keine andere Geschichte in einer Zeitung verursachte solche Probleme wie „Madame Freiheit“. Wegen dieser Geschichte bin ich von der Polizei vernommen worden, wurde in viele Diskussionen verwickelt und erhielt zahlreiche Drohbriefe. Leute fragten nach meiner Adresse, doch die Zeitung hat sie nie herausgegeben. Ein derartiger Aufruhr verleitete einige Leute sogar zu der Ansicht, ich sei psychisch gestört. Jedenfalls kann niemand allein leben, Menschen sind soziale Tiere. Gefühle und Liebe sind also wichtige Faktoren in unserem täglichen Leben. Ich glaube, ein wahres Leben bedeutet Treue zu seinen eigenen Gefühlen.

Die Auseinandersetzung zwischen dem Autor Jung und Professor Hwang wurde von anderen Leuten weitergeführt und heizte die Kontroverse um „Madame Freiheit“ weiter an.

Die Verfilmung der Geschichte wurde 1956 an den Kinokassen ein sensationeller Hit. Der Film brachte die Verwirrung über die Wertvorstellungen, die die koreanische Gesellschaft beschäftigte, durch Darstellung des Konflikts zwischen der althergebrachten traditionellen koreanischen Ethik und dem durch Tänze symbolisierten amerikanischen Einfluss pointiert zum Ausdruck.

Die koreanische Nachkriegsgesellschaft akzeptierte die amerikanische Kultur sehr schnell. Für die Koreaner, die an Hunger und Armut litten, war Amerika das Land des Reichtums, das Korea aus dem Elend gerettet hatte. Ältere Koreaner erinnern sich immer noch gern an die Schokolade und die Kaugummis, die sie von amerikanischen Soldaten erhalten hatten.

Frau 1: Ich rief „Hallo, hallo!” und lief hinter ihnen her. Dann gaben sie mir Kaugummi und Schokolade.
Frau 2: Die Amerikaner gaben uns Süßigkeiten und Sachen zum Anziehen. Damit überstanden wir die schweren Zeiten.


Überall machte sich allmählich Englisch breit, etwa auf Geschäftsschildern und alltäglichen Dingen wie Zahnpasta. Auch die Popmusik war nicht gefeit gegen die Invasion der englischen Sprache. Einige der Songtexte waren auf Englisch, als ob man über die Sehnsucht nach Amerika oder andere weit entfernte Länder sang.

Manche der Lieder enthielten Rhythmen, die für koreanische Ohren ungewohnt klangen, wie Tango, Mambo oder Blues. Derartige amerikanisch beeinflusste Musik löste bei einigen geradezu eine Tanzbesessenheit aus. Diese Schwärmerei über die amerikanische Kultur brachte andere Koreaner irgendwann dazu, ihren Unmut über die blinde Aneignung amerikanischer Ideen und Lebenseinstellungen auszudrücken. Manch ein Song machte sich über die unkritische Übernahme von allem Amerikanischen einiger Leute regelrecht lustig.

Noch ein weiterer Zweig der Popkultur wurde in dieser Zeit sehr beliebt. In Seoul und anderen größeren Städten fanden staatlich organisierte Veranstaltungen statt, die denen Trost und Unterhaltung spenden sollten, die körperliche und seelische Schäden durch den Koreakrieg davongetragen hatten. Derartige Aufführungen beinhalteten solch interessante Vorstellungen wie Drahtseillaufen und Singen. Am beliebtesten waren die lustigen Gespräche zwischen den Komikern Jang So-pal und Koh Chun-ja. Das witzige Geplänkel der beiden Komiker reflektierte das Leben normaler Koreaner und heiterte diejenigen ein bisschen auf, die aus Armut und Elend nicht mehr herausfanden.

Dann erreichten im Jahr 1957 gute Nachrichten die koreanische Filmindustrie: „Hochzeitstag“, ein amüsanter Film über einen Dorfältesten, der versucht, seine Tochter zu verheiraten, gewann einen Preis bei den asiatischen Filmfestspielen. Hier ist noch einmal der Kulturkritiker Kim Heon-sik:

Der Film wurde beim Asia-Pacific Film Festival 1957 gezeigt und gewann den Komödien-Spezialpreis. Das ist wie eine „beste Komödie“ heutzutage. Damals führten fahrende Theatergruppen Parodien und komische Sketche auf, doch „Hochzeitstag“ war die erste Filmkomödie im Kino. In den so traurigen 1950ern wurde „Hochzeitstag“ ein Riesenhit und gewann öffentliche Anerkennung, weil er den Koreanern dabei half, Schmerz und Leid kurzzeitig zu vergessen.

Dieser Schwarzweißfilm brachte den koreanischen Humor wie nie zuvor zur Geltung. Der Gewinn einer Trophäe bei einem ausländischen Filmfestival stellt ein Schlüsselereignis in der koreanischen Filmgeschichte dar.

Ebenfalls 1957 wurde die erste Miss-Korea-Wahl durchgeführt. Dabei kam es zu wüsten Schlägereien, als einige Männer versuchten, einen Blick auf die Schönheiten in ihren Badeanzügen zu erhaschen. Hier ist ein Artikel aus der Zeitung „Kyunghyang Shinmun“ aus der Ausgabe vom 20. Mai, der einen genaueren Eindruck über die aufgeheizte Stimmung damals erlaubt:

Die Zuschauer drängten sich in den Veranstaltungsraum, noch bevor das Theater öffnete, und in dem Tumult gingen einige Fenster zu Bruch. Dann hielten die Zuschauer die Luft an, als sieben schöne Frauen nur in Schwimmanzügen bekleidet die beleuchtete Bühne betraten und sich dort positionierten, um ihre geschmeidigen Figuren zu zeigen.

Die Hauptabsicht des Schönheitswettbewerbs war es, ein Mädchen auszuwählen, das Korea bei der Wahl zur Miss Universe in den Vereinigten Staaten repräsentieren sollte. Die Ehre, zur ersten Miss Korea gekürt worden zu sein, gebührte Park Hyun-ok, die dafür Geld, einen Hanbok, eine Halskette sowie ein Set Silberbesteck als Preis erhielt.

Schönheitswettbewerbe waren vorher unvorstellbar gewesen in Korea. Frauen in Badeanzügen waren ein traditionelles Tabu, die Veranstaltung löste daher eine ziemliche Kontroverse aus. Sie wurden aber noch weitaus beliebter, seitdem die Wettbewerbe im Fernsehen übertragen wurden. Die Schönheitswettbewerbe ermöglichten es Frauen, eine eigene Karriere einzuschlagen in einer Zeit, als ihnen der volle Zutritt in die Gesellschaft verwehrt blieb. Die Gewinnerinnen der Schönheitswettbewerbe waren nicht nur Schönheiten, sondern sie konnten an vielen sozialen Veranstaltungen teilnehmen.

Während derartige Veränderungen das ganze Land verunsicherten, kamen Neuigkeiten aus Japan, die alle Koreaner stolz machten. Bei den 3. Asien-Spielen, die 1958 in Tokio in Japan stattfanden, gewann der Marathonläufer Lee Chang-hoon die Goldmedaille. Gleichsam als ob er all die Gelegenheiten wettmachen wollte, die koreanische Sportler wegen des Koreakriegs verpasst hatten, gewann Lee, der die koreanische Flagge stolz auf seinem Trikot trug, den Marathon mit 48 Sekunden unter der damaligen koreanischen Bestleistung. Die Koreaner, die das Rennen gesehen hatten, konnten die Quälereien, die sie unter der japanischen Kolonisation erlitten hatten, ein wenig vergessen.

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